Autorin: Katja Ansen
Obwohl bereits jetzt rund 40% der Menschen in Deutschland Transferleistungen beziehen, dominiert die Vorstellung, sich einen Platz in der Gesellschaft verdienen zu müssen. Fest verankert ist die Idee von „seiner eigenen Hände Arbeit“ zu leben. Dass dieses Konzept im Widerspruch zu den tatsächlich gelebten Verhältnissen steht, ändert nichts am Ideal. Trotz Arbeitsplatzverknappung bleibt der Ausspruch populär: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Doch woher kommt diese Vorstellung von Arbeit? Naturgegeben ist unser Arbeitsverständnis nicht. Wenn Tiere satt und versorgt sind, machen sie schließlich auch Feierabend. Menschen arbeiten „auch bei mörderischer Hitze und selbst mit vollem Bauch, aus dem doch jeder anständige Affe das Recht auf totale Faulheit abgeleitet“ hätte.1 Das war nicht immer so. In der griechischen Antike war die Vorstellung abwegig, um der Arbeit willen zu arbeiten. Lohnarbeit galt als unfrei und würdelos.
Die ideologische Aufladung der Arbeit ist ein modernes Phänomen. Erst im Zuge der protestantischen Ethik sickerte das Konzept in den Alltag der breiten Masse ein. Bis dahin blieb das asketische Ideal des Bedürfnisaufschubs und der harten Arbeit noch wenigen Mönchen vorbehalten. Der protestantische Moralkodex erhielt seine Durchschlagkraft, weil auch Politik und Philosophie die Idee untermauerten. Demokratisch-liberale Strömungen griffen den neuen Arbeitsbegriff auf, um sich vom Standesdenken zu emanzipieren. Nicht durch Geburtsrechte, sondern durch eigene Arbeitsleistung solle man sich seine Position im Leben erarbeiten. Dieser politische Ansatz wurde von Philosophen wie Hegel oder Kant weiter veredelt. Sie werteten die Arbeit als Mittel zur rechten Lebensführung auf.2
Die aufblühende Industrielandschaft griff die neue Arbeitsmoral dankbar auf. Mit einer Kombination aus moralischem und ökonomischem Druck machten sie aus Bürgern Arbeitskräfte. Da eine Industrie nie fertig ist mit Produzieren, sollten es die Menschen auch nie sein. Entsprechend wurde die Entlohnung derart niedrig angesetzt, dass kontinuierliche Arbeit unvermeidlich wurde. Zugleich nahm die Stigmatisierung und Verfolgung von Armen und Erwerbslosen zu. Bettler wurden verfolgt, Arbeitslager etabliert, Disziplin in Tretmühlen erzwungen.3 Die Standardisierung menschlicher Arbeit wurde im Zuge der Industrialisierung immer weiter perfektioniert, bis der Mensch selbst nur noch ein Rädchen im System war. Aus der Freiheit des Einzelnen wurde die Freiheit für Industrie und Produktionsstätten.
Aber, mag mancher einwenden, steht denn nicht schon in der Bibel „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“? Dieser Ausspruch richtete sich an eine ganz bestimmte Gemeinde in einer besonderen Ausnahmesituation. Ein allgemeiner Grundsatz wurde hier nicht formuliert. Übrigens heißt es im gleichen Abschnitt auch: „Nicht als hätten wir keinen Anspruch auf Unterhalt.“4
Es bleibt festzuhalten, dass unser Verständnis von Arbeit ein gewachsenes Phänomen ist, das auch anders gestaltet werden könnte. Der Blick in andere Kulturen zeigt, dass es auch heutzutage alternative Arbeitsauffassungen gibt. So glaubt der Stamm der Kapauku (Neuguinea) daran, dass es Unglück bringt, an zwei aufeinander folgenden Tagen zu arbeiten. In anderen Gesellschaften gilt es heute noch als fragwürdig, sich von Fremden anstellen zu lassen. Ebenso unterschiedlich ist die Ausgestaltung der Arbeitszeit. Während in den USA 20% der Arbeitszeit mit dem Ausbau und der Pflege von sozialen Kontakten verbracht wird, sind es in Nepal und Indien durchschnittlich 50%.5 Das Problem ist nicht, dass unsere Arbeitsauffassung unabänderlich ist, sondern, dass wir sie dafür halten.
Einen ausführlichen Text von Katja Ansen zur Geschichte der Arbeitsethik und eine dazugehörige PowerPoint-Präsentation finden Sie hier:
Wie kommt die Ethik in die Arbeit (pdf)
Arbeitsethik-PowerPointPräsentation 2010 (pdf)
1 Schneider, Wolf: Glück! Eine etwas andere Gebrauchsanleitung. Reinbek bei Hamburg, 2007. S. 180.
2 Vgl. Koslowski, Peter: „Überarbeitete und Beschäftigungslose. Sinnverlust der Arbeit durch Übergeschäftigkeit und Unterbeschäftigung.“ In: Hoffmann, Hilmar; Kramer, Dieter (Hg.) Arbeit ohne Sinn? Sinn ohne Arbeit. Über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Weinheim, 1994. S. 120 – 132
3 Vgl. Gronemeyer, Reimer (Hg.): Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang. Reinbek bei Hamburg, 1991
4 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher, (Kap. 3.9/3.10). Vgl. auch die Erläuterung von Helgo Klatt.
5 Eylert, Sabine; Bertels, Ursula; Tewes, Ursula (Hg.): Von Arbeit und Menschen. Überraschende Einblicke in das Arbeitsleben fremder Kulturen. Münster, 2000