Werden sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht zu viele Menschen nur auf die „faule Haut“ legen?

Seien Sie ehrlich: Was würden Sie selbst tun? Würden Sie es ohne Aufgaben lange aushalten? Würde Ihnen nicht spätestens nach ein paar Wochen langweilig?

Sinnvolle Tätigkeit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Dass manchen Menschen heute die Perspektive des „Nichtstuns“ so attraktiv erscheint, bedeutet nicht, dass sie von Grund auf faul wären, sondern zeigt, dass ihnen heute die Erfahrung verwehrt bleibt, im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse nützlich zu sein. Die Perspektive einer freien Wahl zwischen „Arbeiten“ und „Nicht arbeiten“ erscheint vielen heute als Wahl zwischen fremdbestimmter, sinnentleerter Plackerei einerseits und einer gemütlichen Hängematte andererseits.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens überwindet diese unsinnige Gegenüberstellung:

– Es schafft die Möglichkeit, sich ohne Existenznöte und unbehelligt von behördlichen Drohungen auch außerhalb der Erwerbsarbeit nützlich zu machen – entsprechend der eigenen Vorstellungen von sinnvoller Tätigkeit.

– Es bietet eine solide Grundlage für Existenzgründungen ohne dickes Kapitalpolster und damit neue Chancen, mit eigenen Ideen Geld zu erwirtschaften.

– Es zwingt Unternehmen, Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten. Wer Stellen zu besetzen hat, muss gute Arbeitsbedingungen und attraktive Arbeitszeitmodelle bieten, sich um ein angenehmes Betriebsklima bemühen und seine Beschäftigten als Partner und Partnerinnen auf Augenhöhe behandeln. Die Arbeitswelt wird dadurch ihr Gesicht verändern.

Auf den Punkt gebracht: Ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht die Erfahrung, dass Arbeit selbstbestimmt und sinnstiftend sein kann – egal ob es sich um unbezahlte Arbeit, um Selbständigkeit oder um ein Angestelltenverhältnis handelt. Menschen, die sich heute nur nach einer Hängematte sehnen, werden unter diesen Bedingungen entdecken, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tätigkeit und Muße ihren Bedürfnissen besser entspricht.

Bauen Sie nicht zu sehr auf das Gute im Menschen, wenn Sie auf die sinnstiftende Funktion von Arbeit verweisen? Sind die Menschen nicht zu egoistisch, als dass ein System mit Grundeinkommen funktionieren könnte?

Eine Funktion des bedingungslosen Grundeinkommens ist es, Menschen zu ermöglichen und dazu zu ermutigen, auch abseits von kommerziellen Interessen mit Blick auf den gesellschaftlichen Nutzen tätig zu werden. Dieser Effekt ist gewollt, aber er ist nicht notwendig für das Funktionieren eines Systems mit Grundeinkommen.

Auch mit „egoistischen“ Menschen würde ein Wirtschaftssystem, in dem es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, gut funktionieren. In der Regel wollen Menschen gesellschaftliche Anerkennung. Für viele wird das Grund genug sein, etwas leisten zu wollen – auch ohne sich große Gedanken über die Funktion ihrer Tätigkeit für das Gemeinwohl zu machen. Dazu kommen die finanziellen Anreize, die besser wirken als heute. Momentan gibt es schlecht entlohnte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie prekäre Selbständige, die unterm Strich nicht mehr Geld auf ihrem Konto haben als erwerbslose Bezieher und Bezieherinnen von Bürgergeld (früher Hartz IV). Wer Bürgergeld bekommt, hat wegen der horrenden Abzüge wiederum kaum einen finanziellen Anreiz zu einem „Zuverdienst“. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens beseitigt diese Absurditäten. Wenn Erwerbstätige wie Nicht-Erwerbstätige gleichermaßen das Grundeinkommen erhalten, bedeutet die Aufnahme einer Erwerbsarbeit in jedem Fall zusätzliches Einkommen. Ein solches System setzt nicht „den besseren Menschen“ voraus, sondern funktioniert auch dann bestens, wenn die Mehrheit vor allem ihren eigenen Geldbeutel im Blick hat.

Wer macht dann die Arbeiten, die unangenehm, aber wichtig sind?

Ob die meisten Menschen eine Arbeit als unangenehm empfinden, hängt nicht nur von der Tätigkeit selbst ab, sondern auch von der Wertschätzung, die wir ihr entgegenbringen. Wer für Arbeiten, die (bisher) unbeliebt sind, Arbeitskräfte einstellen will, muss sich um sie bemühen. Das bedeutet zunächst eine im Rahmen der Möglichkeiten angenehme Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Dazu gehören ein respektvoller Umgang, eine Zeitplanung, die die Erledigung der Aufgaben ohne Hetze ermöglicht, und attraktive Arbeitszeitmodelle. Und es bedeutet angemessene Bezahlung.

Welche Bezahlung angemessen ist, entscheidet sich am Arbeitsmarkt: Wenn nicht genug Leute bereit sind, eine Stelle zu den bisherigen Bedingungen anzunehmen, muss die Arbeitgeberin mehr bieten und den Lohn bis zu dem Niveau erhöhen, an dem sich doch genügend Arbeitskräfte finden. Ein solches Lohnniveau wird es für alle gesellschaftlich notwendigen Arbeiten geben. Auch wenn zum Beispiel die meisten Menschen das Putzen von Toiletten als unattraktiv empfinden: Die Perspektive, durch ein paar Wochen Putzen das Geld für eine lang ersehnte Reise zusammen zu bekommen, wäre sicher geeignet, ohne Zwang genügend Leute zu dieser Arbeit bewegen.

Wird es nicht manche Menschen überfordern, die Chancen der neuen Freiheit zu entdecken und für sich zu nutzen?

Bestimmt wird es Menschen geben, die sich zunächst einmal ausschlafen und „gammeln“. Daran ist nichts auszusetzen. Eine Auszeit kann gut tun, und sie kann helfen, sich über die eigenen Bedürfnisse klarer zu werden. Wer bisher einer unbefriedigenden Arbeit nachging oder bisher den Großteil seiner Energie und Kreativität darauf verwandte, sich vor Arbeitsaufnahme zu drücken, wird vielleicht erst einmal gern den ganzen Tag in der Hängematte liegen. Doch wenn es keine Notwendigkeiten mehr gibt – nicht einmal mehr die Notwendigkeit, Behörden auszutricksen –, wird sich den meisten früher oder später die Frage aufdrängen, ob sie nicht mehr aus ihrem Leben machen wollen, und was das sein könnte. Außerdem dürfte nur den Wenigsten die Signalwirkung des Grundeinkommens entgehen: „Wir schenken dir Chancen, und wir kontrollieren dich nicht, denn wir vertrauen darauf, dass du deine Chancen nutzt. (Enttäusche uns bitte nicht!)“

Dennoch wird nicht jeder Einzelne aus eigenem Antrieb sein Leben bewusst gestalten. Um möglichst viele Menschen dazu zu motivieren und darin zu unterstützen, die Chancen der Freiheit zu nutzen, brauchen wir gute, zu einem großen Teil staatlich finanzierte soziale Dienste, unter anderem Beratungs- und Coaching-Angebote, zielgruppengerechte Weiterbildungsmöglichkeiten und auch Arbeitsvermittlung. Weil es keinen Weg gibt, der für alle passt, ist ein breites Spektrum unterschiedlicher Angebote erforderlich, in denen jeweils individuell auf die einzelnen Klienten eingegangen wird. Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, geht das besser als heute: Wenn die „Integration in den Arbeitsmarkt“ nicht in jedem Fall Ziel sein muss, kann eine Förderung viel konsequenter von den persönlichen Wünschen und individuellen Stärken ausgehen. Mit dieser individuellen Ausrichtung können die Anbieter der Programme werben, und damit möglicherweise auch Menschen erreichen, die sonst gegenüber Unterstützungsangeboten skeptisch sind.

Wir sollten uns aber keinen Illusionen hingeben: Auch mit solchen freiwilligen Angeboten werden sich einige Menschen nicht „aktivieren“ lassen. In diesem Punkt besteht kein Unterschied zu den heutigen „Arbeitsgelegenheiten“ und „Qualifizierungsmaßnahmen“, zu denen die ARGEn Bürgergeld-Empfänger_innen verpflichten. Die Drohung mit Sanktionen führt heute keineswegs dazu, dass die Maßnahmen alle Mitglieder ihrer Zielgruppe auf die gewünschte Weise erreichen. Eine Behörde kann Menschen zur Teilnahme an einem Programm zwingen, aber nicht zur aktiven Mitarbeit. Wer aus freien Stücken unter keinen Umständen gewillt ist, produktiv tätig zu sein, tut dies unter Zwang erst recht nicht.

Wenn wir auf Zwangsmaßnahmen verzichten und stattdessen auf Freiwilligkeit setzen, ist das besser für alle Beteiligten:

– Wer ein Angebot für sich nutzen will, profitiert mehr, wenn nur motivierte Teilnehmer und Teilnehmerinnen dabei sind.

– Wer die heutigen Maßnahmen nicht annimmt, weil er darin nur Zwang erkennt, entdeckt möglicherweise Chancen in neuen Angeboten, die nicht mit Sanktionsdrohungen einhergehen.

– Wer auch dann noch partout nicht will, hat von der Teilnahme an einer Maßnahme sowieso nichts zu gewinnen, und sollte lieber selbst über seine Zeit verfügen.

– Wer Steuern zahlt, will keine unsinnige Verschleuderung von Staatsgeldern – und die „Investition“ in die Förderung Benachteiligter hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Betroffenen sich fördern lassen wollen.

Was bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Unternehmen?

Der wichtigste Punkt ist ein anderes Verhältnis zu den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wer Menschen bisher zu schlechten Bedingungen für sich arbeiten ließ, wird mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens Schwierigkeiten Personalmangel bekommen und sich stark umstellen müssen. Unternehmen, die schon vorher begriffen haben, dass motivierte Mitarbeitende produktiver sind, und deshalb schon längst auf eine attraktive Ausgestaltung der von ihnen angebotenen Stellen setzen, werden klar im Vorteil sein. Sie können von der Einführung eines Grundeinkommens sogar profitieren. Wenn sich niemand mehr aus purer Not oder von der ARGE gezwungen bewirbt, und wenn diejenigen, die innerlich schon gekündigt haben, tatsächlich gehen, werden die verbleibenden und neu hinzukommenden Beschäftigten im Schnitt noch motivierter sein.

Die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen wird durch das Grundeinkommen in einigen Bereichen zunehmen bzw. stabilisiert werden, in anderen Bereichen möglicherweise abnehmen, weil das Grundeinkommen gesamtwirtschaftlich eine Umverteilung bedeutet und weiten Bevölkerungskreisen größere Sicherheit gibt.

Zugleich wird sich die Kostenstruktur der Unternehmen ändern: Der Faktor Arbeit wird mit großer Wahrscheinlichkeit in vielen Bereichen billiger, weil Beschäftigte vor allem in den unteren Einkommensbereichen dank des Grundeinkommens auch mit einem geringeren Bruttoentgelt ein höheres Netto-Gesamteinkommen erreichen als heute. Inwiefern sie sich darauf einlassen, ist Verhandlungssache. Bei Arbeiten, die sie als unattraktiv empfinden, werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bzw. ihre Gewerkschaften vermutlich auf mehr Geld bestehen. Doch auch hier ist das Nettoeinkommen entscheidend. Im heutigen Niedriglohnsektor hätten Beschäftigte auch mit einem gegenüber heute gleich bleibenden oder nur leicht erhöhten Bruttolohn dank des Grundeinkommens wesentlich mehr Geld in der Tasche als heute. Es ist anzunehmen, dass solche Lösungen in den meisten Fällen akzeptiert werden und dass sich die Erhöhungen der Arbeitskosten in den Bereichen, wo sie auftreten, in Grenzen halten.
Die Auswirkungen der zur Finanzierung des Grundeinkommens erhobenen Steuern unterscheiden sich je nach Finanzierungsmodell. Die Mehrwertsteuer bietet als Finanzierungsquelle den Vorteil, weder die Arbeit zu verteuern noch die Eigenkapitalbildung von Unternehmen zu behindern. Außerdem würde eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland keine Nachteile für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen bedeuten, weil die Mehrwertsteuer nur auf Leistungen im Inland anfällt und deshalb Importe verteuert, Exporte aber nicht. Im Hinblick auf die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort wird ein Grundeinkommen noch einen weiteren Effekt haben, der von der Art der Finanzierung unabhängig ist: Ein Grundeinkommen sorgt für soziale Stabilität. Dieser Punkt spielt in der Standortwahl von Unternehmen oft eine noch größere Rolle als Steuern und unmittelbare Arbeitskosten.

Wie wirkt sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Geschlechterverhältnisse aus?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen schafft für alle Menschen größere finanzielle Unabhängigkeit, nicht zuletzt für Frauen, die heute häufig vom Einkommen ihres Partners abhängig sind. Entscheidungen über Lebensplanung und Lebensgestaltung sind dann weniger von der Notwendigkeit bestimmt, dass ein „Ernährer“ Geld „nach Hause bringt“. Beziehungen, die heute von finanzieller Abhängigkeit geprägt sind, lassen sich dann ein Stück weit leichter in Frage stellen.

Gleiches gilt für die Rollenverteilung innerhalb der Familien. Wenn Kinder kein Armutsrisiko mehr sind und die Lebensgrundlage aller Beteiligten auch ohne Erwerbsarbeit sicher ist, bleiben Haushalt und Kindererziehung zwar notwendig, aber es gibt mehr effektive Möglichkeiten, diese Aufgaben aufzuteilen. Weder Väter noch Mütter müssen dann einer Erwerbsarbeit in Vollzeit nachgehen, die kaum Zeit für Haus und Familie lässt. Durch Teilzeitmodelle können sowohl Alleinerziehende als auch berufstätige Paare Erwerbsarbeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren.

Natürlich schafft ein Grundeinkommen auch die Möglichkeit einer traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, in der der Mann erwerbstätig und die Frau für Haushalt und Kinder zuständig ist. Wenn sich beide wirklich freiwillig im gegenseitigen Einvernehmen dafür entscheiden, ist dagegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Es geht uns zu einem wesentlichen Teil ja gerade um echte Selbstbestimmung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Angesichts nach wie vor existierender patriarchaler Strukturen ist jedoch die Befürchtung nicht unberechtigt, manche Frauen könnten sich entgegen ihrem wirklichen Willen einem Druck fügen, auf Erwerbsarbeit zu verzichten. Wer deswegen allerdings ein Grundeinkommen ablehnt, hat keine wirkliche Emanzipation im Sinn. Eine Steigerung der Frauenerwerbsquote durch finanzielle Not hat nichts mit Freiheit zu tun. Und da sich Selbstbestimmung nicht verordnen lässt, sollten wir als Gemeinwesen lieber Grundlagen schaffen, die sich im Sinne der Selbstbestimmung nutzen lassen. Sehr viele Frauen werden das von sich aus tun, und „Rollenvorbilder“, die die Vielfalt der Möglichkeiten aufzeigen, sind die beste Voraussetzung für eine weitere Ausbreitung emanzipierten Bewusstseins.

Was bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Umwelt?

Was wir tun müssen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und insbesondere die Erderwärmung einzudämmen, ist bekannt. Individuell müssen wir unser Konsumverhalten ändern, und auch politisch müssen wir die Weichen für eine Umstellung der Wirtschaft auf ökologisch nachhaltige Produktion stellen. Schritte in die richtige Richtung gibt es an vielen Stellen, doch wir handeln längst nicht konsequent genug – aus verschiedenen Gründen. Wie in so vielen Bereichen gilt auch hier: Ein bedingungsloses Grundeinkommen löst die Probleme nicht, aber es bietet eine Grundlage, auf der sich manche Lösungen besser realisieren lassen.

– Wir erleben einen Trend hin zu verantwortungsbewussterem Konsum. Viele Menschen sind im Prinzip zu einem umweltfreundlicheren Lebensstil bereit. Der gute Wille stößt jedoch schnell an finanzielle Grenzen. Ökologisch produzierte Lebensmittel kosten mehr als konventionelle, und Flugscheine sind für viele Strecken immer noch billiger zu haben als Bahnfahrkarten. Weil ein bedingungsloses Grundeinkommen die heutigen unteren Einkommensschichten finanziell besser stellt, ermöglicht es vielen Leuten, sich in ihrem Konsumverhalten stärker an ökologischen Aspekten zu orientieren, als sie es heute können. Geldnot ist dann kein Grund und auch keine Ausrede mehr.

– Ein mutig betriebener ökologischer Umbau der Wirtschaft schafft neue Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten. Würden wir die Unternehmen in Deutschland durch entsprechende steuerliche Rahmenbedingungen und verschärfte Auflagen zu einer beschleunigten Umstellung auf ökologisch verträgliche Produktion zwingen, könnten viele von ihnen gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Kurzfristig gibt es aber bei jedem Strukturwandel Verlierer. Während Neues entsteht, muss Altes abgewickelt werden, und das geht nicht ganz reibungslos. Die Angst vor einem kurzfristigen Verlust von Erwerbsarbeitsplätzen war bisher für jede Regierung Grund genug, den Klimaschutz, wenn es ernst wurde, doch wieder zurückzustellen. Das Motto lautet allzu oft: „Klimaschutz: ja – aber bitte keine Nachteile für die deutsche Autoindustrie!“ Ein bedingungsloses Grundeinkommen bietet die Chance, notwendigen Strukturwandel besser sozial abzufedern. So können wir uns leichter darauf einlassen, die Chancen der Zukunft zu nutzen, anstatt an veralteten Strukturen festzuhalten und mit dem Totschlagargument „Arbeitsplätze“ sinnvollen und notwendigen Wandel zu blockieren.

– Wenn wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht zerstören wollen, können wir nicht unendlich mehr produzieren, auch nicht mit ressourcenschonenden Verfahren. Auf lange Sicht müssen wir lernen, ohne Wirtschaftswachstum im bisherigen Sinne auszukommen. Momentan erscheint Wachstum jedoch notwendig, um neue Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen und so den Verlust an Erwerbsarbeitsplätzen infolge des technischen Fortschritts auszugleichen. Eine Nullwachstums-Ökonomie kann nur mit neuen Formen der Einkommensverteilung funktionieren. Diese müssen sicherstellen, dass trotz technischer Rationalisierungen alle Menschen am Wohlstand teilhaben und Chancen bekommen, sinnvoll tätig zu werden – ohne ständigen Druck zu maximaler Effizienz. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bietet dafür eine Grundlage.

Führt ein bedingungsloses Grundeinkommen zu mehr Einwanderung?

Anspruch auf das bedingungslose Grundeinkommen hat nur, wer dauerhaft legal in Deutschland ansässig ist. Ausländer und Ausländerinnen aus Nicht-EU-Staaten bekommen aber nur unter sehr restriktiven Bedingungen einen Aufenthaltstitel in Deutschland. Viele werden schon an den EU-Außengrenzen abgefangen; andere, die es nach Deutschland schaffen, werden abgeschoben. Und Menschen, die illegal in Deutschland leben, haben keinerlei Anspruch auf Sozialleistungen. Angesichts dessen entbehrt die Vermutung, ein Grundeinkommen würde eine große Einwanderungswelle von außerhalb der EU nach Deutschland hervorrufen, jeder sachlichen Grundlage. Das soll nicht heißen, dass die jetzige restriktive Ausländerpolitik gerechtfertigt sei. Die Grundsätze der Humanität gebieten eine Liberalisierung. Ganz unabhängig vom bedingungslosen Grundeinkommen muss und kann eine solche Öffnung schrittweise und damit kontrolliert erfolgen.

Einwanderung aus anderen EU-Staaten ist hingegen grundsätzlich möglich, denn Unionsbürger und – Bürgerinnen genießen Freizügigkeit. Würden also viele Bürger anderer EU-Mitgliedsstaaten nach Deutschland übersiedeln, wenn es hier ein Grundeinkommen gäbe, in ihrem Herkunftsland aber (noch) nicht? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vergegenwärtigen, dass ein Grundeinkommen nur die Menschen mit relativ geringem sonstigem Einkommen unmittelbar finanziell besser stellt. Wer ins Ausland geht, um Wohlstand zu erreichen, ist in den meisten Fällen gewillt, dafür zu arbeiten. Deutschland erscheint aufgrund des im internationalen Vergleich relativ hohen Lohnniveaus heute vielen Menschen attraktiv, die sich aus ihrer Armut „herausarbeiten“ wollen. Daran wird sich mit einem Grundeinkommen nichts Wesentliches ändern.

Wenn sich wegen der besseren finanziellen Absicherung durch das Grundeinkommen noch ein paar mehr Menschen aus anderen EU-Staaten entschließen, nach Deutschland zu kommen, ist das zunächst auch kein Problem. Eine Gefahr für die Finanzierung des Grundeinkommens entstünde erst dann, wenn in großer Zahl weitere Menschen zuwanderten, die keinen zusätzlichen Beitrag zur Finanzierung leisten, weil sie nicht an Erwerbsarbeit interessiert sind. Dass Menschen mit einem solchen Vorhaben nach Deutschland kommen, wird die Ausnahme bleiben. Die eigene Heimat zu verlassen, ist ein großer Schritt. Wer diesen Schritt wagt, hat Kraft und Willen, aus dem eigenen Leben etwas zu machen, und möchte sich in den meisten Fällen nicht auf das Sozialsystem des Ziellandes verlassen, sondern durch Erwerbsarbeit seine materielle Situation weiter verbessern. (Wer jetzt auf Menschen mit Migrationshintergrund verweist, die als Gegenbeispiele erscheinen, sollte sich fragen, ob das Verhalten der betreffenden Personen nicht – unter anderem – mit einer empfundenen Perspektivlosigkeit zu tun hat. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen mit dauerhaftem offiziellem Wohnsitz in Deutschland – ob mit oder ohne deutschen Pass – schafft bessere Lebenschancen und kann so mittel- bis langfristig zu einer Verbesserung der Integrationsbereitschaft beitragen.)

Besteht die Gefahr, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine Inflation nach sich zieht?

Inflation, also Wertverlust des Geldes, hängt mit der Ausweitung der Geldmenge zusammen: Bringt die Zentralbank zu viel Geld in Umlauf, führt das zu dessen Entwertung. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist jedoch keine Schaffung zusätzlichen Geldes, sondern eine Umverteilung: Das Grundeinkommen kommt nicht zum bestehenden Geld hinzu, sondern wird durch Steuern finanziert. Eine unmittelbare inflationäre Wirkung hat es deshalb nicht. Falls durch die Umverteilung der Kaufkraft die Nachfrage nach Konsumgütern so stark ansteigen sollte, dass die Unternehmen mit der Ausweitung der Produktion hinter der Nachfrage zurückbleiben, könnte dies indirekt die Inflation beschleunigen. Wie immer, wenn in einer Boomphase eine „Überhitzung“ der Wirtschaft droht, ist es auch in diesem Fall Aufgabe der Zentralbanken, durch eine restriktive Geldpolitik rechtzeitig gegenzusteuern.

Ist nicht zu befürchten, dass der Staat ein bedingungsloses Grundeinkommen, wenn es eingeführt ist, als Rechtfertigung benutzt, alle anderen sozialpolitischen Leistungen zu streichen, so dass im Effekt viele Menschen schlechter gestellt werden?

Hinter dieser Befürchtung steckt die Annahme, der Staat werde von Personen gelenkt, die gegen die Interessen der Mehrheit handeln. Ob das möglich ist, hängt jedoch von politischen Auseinandersetzungen ab. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird uns niemand schenken. Wenn es einer starken sozialen Bewegung gelingt, das Grundeinkommen mehrheitsfähig zu machen und in der Folge seine Einführung durchzusetzen, zeigt dies, dass Berufspolitikerinnen und Lobbyisten nicht allein entscheiden können, sondern mit den Bürgerinnen und Bürgern rechnen müssen. Dieser Grundsatz wird auch nach der Einführung des Grundeinkommens weiter gelten. Wer Sozialkürzungen will, muss sich auf politische Auseinandersetzungen gefasst machen. Was dabei herauskommt, liegt an uns allen.

Redaktion: Sören Kiel

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