Um Missverständnissen vorzubeugen, möchten wir zwei Punkte zur Zukunft der Arbeit und zur Rolle von Erwerbsarbeit in einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommens noch einmal besonders deutlich machen.

Erstens: Wir behaupten nicht, dass uns die Arbeit ausgeht.

Es gibt genug Sinnvolles für alle zu tun. Dank des technischen Fortschritts lassen sich immer mehr Arbeiten rationalisieren, doch das gilt nicht für alle Bereiche. Vor allem Arbeiten an und mit Menschen bleiben und werden immer wichtiger. Wir erleben weder das Ende der Arbeit noch das Ende der Erwerbsarbeit. Unwiederbringlich vorbei ist jedoch ein Vollbeschäftigungs-Modell, das auf dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Erwerbsarbeitsplätzen als Norm beruhte. „Vollbeschäftigung“ in diesem Sinne war nur in einer kurzen Zeitspanne möglich, in der es nach dem Zweiten Weltkrieg einen riesigen Wiederaufbau-Bedarf gab, und in der kaum hinterfragt wurde, dass nur der Mann „das Geld verdient“, während sich die Frau um Haushalt und Kinder kümmert. In diese Zeit können und wollen wir nicht zurück.

40-Stunden-Festanstellungen für alle kann es nicht geben. Was wir jedoch verwirklichen können, ist eine neu verstandene Form der „Vollbeschäftigung“, in der verschiedene Formen der Erwerbsarbeit – in Anstellung wie in Selbständigkeit –, Haus- und Familienarbeit, Kindererziehung, Pflege von Angehörigen sowie ehrenamtliches Engagement gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich flexibel miteinander verknüpfen lassen. Das geht nur mit einer neuen, zeitgemäßen Form der sozialen Absicherung.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle bietet zunächst die Chance, die vorhandene Erwerbsarbeit auf mehr Schultern zu verteilen, weil es Teilzeitarbeit für mehr Menschen realistisch und attraktiv macht. Wer ein Grundeinkommen auf jeden Fall zur Verfügung hat, kann sich leisten, weniger Stunden pro Woche einer Erwerbsarbeit nachzugehen, denn es geht finanziell nur noch um die Höhe des „Zuverdienstes“, nicht mehr um die Existenzsicherung.

Auch für Selbständigkeit bietet ein bedingungsloses Grundeinkommen neue Chancen. Viele Menschen haben gute Geschäftsideen, deren betriebswirtschaftliche Rentabilität aber ungewiss ist. Wer bereit ist, gegebenenfalls bis auf Weiteres mit dem Grundeinkommen allein auszukommen, kann auch solche Projekte mit langem Atem angehen. Menschen können etwas wagen, weil sie damit nicht mehr ihre Existenzgrundlage riskieren. Auch bei schwankenden Einnahmen bietet ein Grundeinkommen Sicherheit – gerade für die steigende Zahl von Kleinstunternehmer_innen und freiberuflich Tätigen, die sich von Auftrag zu Auftrag hangeln und heute prekär leben, weil das soziale Netz nicht auf sie ausgerichtet ist.

Zugleich schafft ein bedingungsloses Grundeinkommen mehr Raum für Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit, sei es in der Familie, im klassischen Ehrenamt oder in projektweisem bürgerschaftlichem und politischem Engagement. Wer will, kann ganz auf Erwerbsarbeit verzichten und sich anders in die Gesellschaft einbringen. Vermutlich wird aber für die meisten Menschen die Perspektive interessanter sein, Erwerbsarbeit und andere Beschäftigungen in eine neue Balance zu bringen. Gerade für Mütter und Väter eröffnet ein bedingungsloses Grundeinkommen neue Möglichkeiten, Berufstätigkeit und Kindererziehung miteinander zu vereinbaren.
Es gibt genug für alle zu tun – wenn wir die Voraussetzungen schaffen, dass sich jeder dort einbringen kann, wo sein Einsatz gebraucht wird. Wenn wir die Existenzsicherung von der Arbeit entkoppeln, lässt sich die vorhandene Erwerbsarbeit besser verteilen. Mehr Menschen können einen Arbeitsplatz finden, und gleichzeitig entstehen Freiräume für unbezahlte Tätigkeiten und für Existenzgründungsprojekte. Eine dieser drei Möglichkeiten oder eine Kombination – ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt Menschen mehr tatsächliche Chancen sich einzubringen. Mit diesen Chancen kann niemand behaupten, überflüssig zu sein.

Einen zweiten Punkt wollen wir noch einmal eindeutig klarstellen, obwohl er sich schon aus dem Gesagten ergibt:

Wir fordern keine vollständige Entkopplung von Einkommen und Arbeit.
Was wir von der individuellen Arbeitsleistung und Arbeitsbereitschaft trennen wollen, ist die Sicherung der Existenz und der gesellschaftlichen Teilhabe. Jeder Mensch mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland soll deshalb jeden Monat bedingungslos einen pauschalen Grundbetrag überwiesen bekommen, mit dem es sich in unserer Gesellschaft leben lässt – würdevoll, aber selbstverständlich nicht luxuriös. Über diesen Grundbetrag hinaus können Einkommen durch Arbeit erwirtschaftet werden. Das Grundeinkommen wird dabei weitergezahlt.

So gilt grundsätzlich: Wer erwerbstätig ist, hat mehr monatliches Einkommen als wer nur auf sein Grundeinkommen setzt. Darüber hinaus ermöglicht ein bedingungsloses Grundeinkommen, das übrige Sozial- und Steuersystem stark zu vereinfachen und künftig alle Einkommen gleich zu behandeln, so dass mehr Bruttoeinkommen in jedem Fall mehr Netto bedeutet. Die finanziellen Anreize zur Erwerbsarbeit werden so im Vergleich zu heute gestärkt.

Der Zwang zur Erwerbsarbeit wird hingegen beseitigt, sodass die Menschen selbst entscheiden können, ob ihnen die Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit für sie persönlich lohnend erscheint. So stärkt das Grundeinkommen die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer_innen (ebenso wie die der heute prekären kleinen Selbständigen): Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen „im Rücken“ hat, muss sich nicht erpressen lassen und kann zu schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen NEIN sagen. In vielen Bereichen des Erwerbslebens wird sich das Klima ändern müssen.

Redaktion: Sören Kiel

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