In der Grundeinkommensdebatte ist viel von Automatisierung und Rationalisierung die Rede, die zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. Sollen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die „Überflüssigen“ ruhig gestellt werden?

Niemand ist überflüssig. Es gibt in unserer Gesellschaft genug zu tun. Das heutige System mit seinem Zuschnitt auf Vollzeit-Erwerbsarbeit um jeden Preis verhindert eine gerechtere und vernünftigere Verteilung der vorhandenen Arbeit. Während die Arbeitsbelastung für die meisten Erwerbstätigen immer stärker wird, hält das Bürgergeld-System mit seinen rigiden „Zuverdienst“-Grenzen und seinen Zwangsmaßnahmen immer mehr Menschen davon ab, sich auf ihre eigene Weise, sei es durch unbezahlte Arbeit, durch den Versuch der Selbständigkeit oder auch durch geringfügige Beschäftigung in die Gesellschaft einzubringen. Erwerbslosen wird zu verstehen gegeben, dass nur eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein legitimes Ziel sei.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen hilft hingegen, die Menschen zu „aktivieren“, weil es Tätigkeitsmöglichkeiten jenseits der Vollzeit-Anstellung eröffnet und den Menschen verdeutlicht, dass auf ihre eigene Initiative und Entscheidungsfähigkeit vertraut wird. Durch die Anerkennung einer Vielzahl von unterschiedlichen Tätigkeitsformen, auch und gerade durch die unbürokratische Ermöglichung von Teilzeitarbeit, stunden- oder projektweisen Anstellungen und durch die verbesserten Grundlagen für selbständige und freiberufliche Tätigkeit erhalten Erwerbslose Chancen zur Rückkehr ins Erwerbsleben. Zugleich bedeutet ein Grundeinkommen für Erwerbstätige, die gern mehr Zeit für sich, für ihre Familie oder für bürgerschaftliches Engagement hätten, bessere Chancen, ein anderes Verhältnis zwischen Beruf und sonstigem Leben zu finden. So werden die Grenzen zwischen klassischer Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeiten fließender, und schließen nicht mehr die vermeintlich Überflüssigen aus und die vermeintlich einzigen Leistungsträger ein.

Bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Kapitulation vor der Massenarbeitslosigkeit?

Das bedingungslose Grundeinkommen bekämpft auf neue Weise die Arbeitslosigkeit, wie sie heute massenhaft auftritt: als unfreiwillige Erwerbslosigkeit, als Resignation und Sich-Fügen in eine vermeintliche Nutzlosigkeit. Was wir aufgeben wollen, ist das unerreichbare Ziel einer traditionell verstandenen „Vollbeschäftigung“, in der alle Erwerbsfähigen eine sozialversicherungspflichtige Festanstellung in Vollzeit haben. Ist das eine Kapitulation? Das wäre es, wenn wir dieses Ziel für unerreichbar, aber wünschenswert hielten. Aber statt an überkommenen Vorstellungen festzuhalten, heißen wir lieber die Zukunft willkommen! Wenn es auf die Selbstbestimmung der Einzelnen ankommt, ist eine neu verstandene Form der „Vollbeschäftigung“ ein wesentlich wünschenswerteres Ziel: Dabei stehen verschiedene Formen der Erwerbsarbeit, in Anstellung wie in Selbstständigkeit, Haus- und Familienarbeit, Kindererziehung, Pflege von Angehörigen sowie ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement gleichberechtigt nebeneinander und lassen sich flexibel miteinander verknüpfen.

Ist statt einer Abspeisung der Menschen mit Geld allein nicht viel mehr individuelle Unterstützung notwendig, um den Bedürfnissen der Einzelnen gerecht zu werden?

Mit Geld allein lassen sich unsere sozialen Probleme nicht lösen, das ist klar. Aber das ist auch nicht unser Anspruch. Das bedingungslose Grundeinkommen soll kein Ersatz für den heutigen Sozialstaat sein, sondern ihn auf neue Grundlagen stellen. Während Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld, Bafög und Wohngeld durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden, müssen soziale Dienste und auch Angebote der Arbeitsvermittlung selbstverständlich weiterbestehen. Dabei bietet ein Grundeinkommen die Chance, viele dieser Programme so weiterzuentwickeln, dass sie den individuell unterschiedlichen Problemlagen und Bedürfnissen besser gerecht werden als heute. Beratungs- und Unterstützungsangebote, die heute sehr stark auf die Perspektive der Erwerbsarbeit zugeschnitten sind, können flexibler ausgerichtet werden. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die durch das Grundeinkommen eine solidere Basis für ihre Arbeit haben, können ergänzend zu staatlichen Einrichtungen eine größere Rolle spielen. Und auch im Bildungssystem gilt: Individuelle Förderung kann stärker bei den persönlichen Interessen und Talenten der einzelnen Schüler und Schülerinnen ansetzen, wenn nicht mehr die Anforderungen eines angespannten Arbeitsmarktes das Maß aller Dinge sind.

Soll ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Art Bezahlung für Hausarbeit und für ehrenamtliche Tätigkeiten darstellen?

Nein. Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine Bezahlung für irgendwelche Leistungen. Das Grundeinkommen durchbricht das Prinzip „wer Anspruch auf Geld haben will, muss dafür eine Leistung erbringen“. Wir sagen andersherum: Erst die voraussetzungslose Zahlung eines Grundeinkommens gibt jedem Menschen die Möglichkeit, selbstbestimmt und eigenverantwortlich dort tätig zu werden, wo er oder sie es will – und so wiederum auch der Gesellschaft etwas zu geben. Das kann in Form von Erwerbsarbeit geschehen, muss aber nicht. Uns ist die Erkenntnis wichtig, dass Erwerbsarbeit längst nicht die einzige Möglichkeit ist, etwas für andere zu tun und sich sinnvoll in das Gemeinwesen einzubringen. Ohne unzählige unbezahlte Tätigkeiten, vor allem in den Haushalten und Familien, wäre unsere Gesellschaft nicht denkbar. Insofern bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Anerkennung dieser Leistungen als mindestens ebenso wichtig wie die Erwerbsarbeit.

Anerkennung ist jedoch nicht mit Bezahlung zu verwechseln. Wenn Sie sich um Ihre Familie kümmern, den Haushalt machen, Kinder erziehen, alte oder kranke Angehörige pflegen, oder wenn Sie sich ehrenamtlich engagieren, bekommen Sie nicht mehr und nicht weniger Grundeinkommen als wenn Sie nichts von alledem tun. Die Zahlung des Grundeinkommens ist und bleibt bedingungslos. Deshalb läuft auch die von manchen Feministinnen geäußerte Kritik ins Leere, beim bedingungslosen Grundeinkommen handele es sich um eine „Herdprämie“. Häusliche Reproduktionsarbeit wird nicht mit zusätzlichen Geldzahlungen „prämiert“, ebenso wenig, wie ein Grundeinkommen bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gekürzt wird. Ein Grundeinkommen bietet mehr tatsächliche Wahlmöglichkeiten. Dazu gehört die Option eines Verzichts auf Erwerbsarbeit ebenso wie deutlich verbesserte Möglichkeiten, Berufstätigkeit und Familie miteinander zu vereinbaren – für Mütter und Väter gleichermaßen. Der Vorstellung, dass dem Mann natürlicherweise die Rolle des Ernährers zukomme, wird mit einem Grundeinkommen endgültig jede Legitimation entzogen.

Ist das bedingungslose Grundeinkommen ein linkes, ein liberales oder ein rechtes Projekt?

Das bedingungslose Grundeinkommens findet über die Grenzen der politischen Lager hinweg immer mehr Zuspruch – unter Mitgliedern aller im Bundestag vertretenen Parteien, ebenso wie unter nicht parteipolitisch gebundenen Bürgerinnen und Bürgern. Die Grundeinkommensidee hat eine Vielfalt von Zugängen. Die Beseitigung von Armut und die Stärkung der Erwerbstätigen sind zentrale Themen für Linke. Doch auch christlich-sozial oder in anderer Weise religiös oder spirituell Orientierte lassen sich von der Idee der bedingungslosen Anerkennung jedes Menschen begeistern. Bürokratieabbau und Stärkung von Eigeninitiative lassen Konservative ebenso aufhorchen wie aufgeklärte Liberale. Diese wiederum begrüßen die Stärkung der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung – und haben hier Gemeinsamkeiten mit modernen, emanzipatorischen Linken. Das bedingungslose Grundeinkommen überwindet alte politische Grenzen und macht neue Bündnisse möglich – das macht seine Verwirklichung realistisch.

Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass aller Gemeinsamkeiten zum Trotz mit dem Projekt des Grundeinkommens von verschiedenen politischen Kräften teilweise verschiedene Ziele verbunden werden. Der Teufel liegt, wie es so schön heißt, im Detail, und in den Auseinandersetzungen um die konkrete Ausgestaltung eines Grundeinkommens-Systems werden manche Unterschiede deutlicher zu Tage treten und harte Konflikte ausgetragen werden. Die Voraussetzung dafür ist jedoch zunächst eine umfassende Verbreitung und eine weite, lagerübergreifende Akzeptanz der Grundidee der Bedingungslosigkeit. Hierfür sind wir auf einem guten Weg – die Differenzen zwischen unterschiedlichen Verfechter_innen des Grundeinkommens tun dem keinen Abbruch.

Wo kommt die Grundeinkommensidee ursprünglich her?

Gern wird in diesem Zusammenhang Thomas Paine zitiert, einer der Gründungsväter der USA. Paines Vorschlag bestand jedoch nicht in einem regelmäßig über das ganze Leben gezahlten Grundeinkommen, sondern in einer bedingungslosen Einmalzahlung an alle jungen Männer und Frauen, wenn sie das 21. Lebensjahr erreichen, sowie einer bedingungslosen jährlichen Rentenzahlung an alle über 50-Jährigen. Paine begründete seinen Vorschlag damit, dass die Erde gemeinsames Eigentum der gesamten Menschheit sei. Landbesitzer sollten deshalb eine „Bodenrente“ an die Gesellschaft entrichten, aus der die bedingungslosen Zahlungen an alle Menschen geleistet werden sollten, als Entschädigung für die private Aneignung des Landes.
Der Engländer Thomas Spence knüpfte an die Ideen seines Zeitgenossen Paine an und unterstützte dessen Argumentation, dass jeder Mensch das Recht an einem Anteil der Bodenrente habe. Spence wies Paines Vorschlag von Einmalzahlung und Altersrente jedoch als unzulänglich zurück. Er forderte stattdessen, die Gemeinden sollten die Landnutzungsrechte versteigern, aus den Einnahmen öffentliche Ausgaben für die Allgemeinheit bestreiten und zu jedem Quartal das restliche Geld allen Einwohnerinnen und Einwohnern zu jeweils gleichen Teilen ausschütten. Dieses Konzept aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert, das sich gegen die Privilegien der Landaristokratie wandte, darf vermutlich als der erste ausformulierte Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens gelten.

Allerdings gibt es keinen ideengeschichtlichen „roten Faden“ von Spence bis zu den heutigen Debatten. Vorschläge, die auf das hinausliefen, was wir heute bedingungsloses Grundeinkommen nennen, tauchten im Laufe der weiteren Geschichte immer wieder auf. Diese Ideen wurden von Denkerinnen und Denkern mit unterschiedlichen intellektuellen und politischen Hintergründen entwickelt, die dem Anschein nach zum Teil die jeweils früheren Vorschläge gar nicht kannten. Auf der Suche nach einer Form der sozialen Absicherung, die alle Menschen wirksam vor Armut schützt und zugleich einfach und unbürokratisch ist, liegt die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens vielleicht einfach nahe…

Schön und gut. Aber sollten wir uns nicht angesichts der knappen Finanzlage lieber auf andere, ebenfalls wichtige Vorhaben konzentrieren?

Diesem Einwand liegt die Vorstellung zugrunde, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde einen weiteren Ausgabenposten im bestehenden Staatshaushalt bedeuten, für den zusätzliche Finanzmittel aufgetrieben werden müssten. Das ist jedoch ein Missverständnis: Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bedeutet einen Systemwechsel, der grundlegende weitere Veränderungen notwendig macht und zugleich ermöglicht. So muss die Umsetzung eines Grundeinkommens mit einer Steuerreform verknüpft werden, die neue Grundlagen für den gesamten Staatshaushalt bedeutet. Dabei bietet das Grundeinkommen selbst die Möglichkeit, eine Steuerreform ohne neue soziale Schieflagen so auszugestalten, dass die für die Finanzierung des Grundeinkommens notwendigen Mittel fortan kontinuierlich aus dem laufenden Wirtschaftskreislauf aufgebracht werden, zusammen mit den Mitteln für die Finanzierung der weiteren Staatsausgaben. Die Frage ist also vielmehr, ob wir weiterhin versuchen wollen, am bestehenden System festzuhalten, das seine eigene Finanzierungsgrundlage auffrisst und den Menschen in unserem Land immer weniger Freiheit, Würde und Sicherheit ermöglicht, oder ob wir endlich die Konsequenzen ziehen und einen Systemwechsel wagen wollen.

Redaktion: Sören Kiel

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