Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. An diesem Datum im Jahre 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen beschlossen, eine rechtlich unverbindliche Erklärung, die jedoch durch spätere verbindliche Verträge und ihre prinzipiell breite Akzeptanz eine beträchtliche, gewohnheitsrechtliche Wirkung entfaltet hat.

Auch die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens wird zuweilen mit Menschenrechten begründet:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ (Art. 1)
„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ (Art. 3)
„Jeder hat […] das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, […] in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“(Art.22).

Dabei weist die Idee der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens über die Perspektive der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hinaus. An mehreren Stellen (Art. 23,24,25) wird von Erwerbsarbeit als regulärer, die Familie versorgender Existenzsicherung ausgegangen. Es wird damit deutlich, dass die 1948 proklamierten Menschenrechte in Teilen eine bestimmte gesellschaftliche Norm jener Zeit wiederspiegeln, die durch weltweite Arbeitsteilung, Rationalisierung und Individualisierung zunehmend an Substanz verliert. Das Bedingungslose Grundeinkommen impliziert daher im Grunde eine Weiterentwicklung der Menschenrechte im Hinblick auf neue soziale und ökonomische Verhältnisse.

Jenseits pragmatischer Erwägungen über einen effizienteren Staat haben die meisten BGE-Fürsprecher als Ziel ein Grundeinkommen als bedingungsloses Grundrecht vor Augen. Aber sollte das BGE selbst ein Menschenrecht sein? Während ein Grundrecht im Kontext eines bestimmten Nationalstaats definiert wird, sind Menschenrechte universell und unteilbar und damit ein globaler Maßstab, an dem sich alle Gesellschaften messen lassen müssen. Global gesehen funktionieren beträchtliche Teile der Ökonomie auch ohne Geld, es wird nur kaum wahrgenommen. Grundeinkommen ist eine geldgebundene Transferleistung, aber Wertschöpfung ist eben auch ohne Geld möglich und wird praktiziert. Geld als Menschenrecht würde dieses doch recht profane Hilfsmittel mit einem umfassenden Ewigkeitscharakter versehen und die bestehende Abhängigkeit von Finanzinstitutionen als alternativlos für alle aussehen lassen. Besser ist es, von Bedingungsloser Teilhabe als Menschenrecht zu sprechen. Für stark geldlastige Ökonomien ist diese Teilhabe am Besten und Einfachsten durch ein Grundeinkommen zu organisieren. Aber auch jenseits der Geldströme gilt es, eine bedingungslose Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Interessant ist die Geschichte der Menschenrechte für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens noch aus einem anderen Grund: Aus der Dynamik ihrer praktischen Durchsetzung lässt sich einiges für die Grundeinkommens-Bewegung ableiten. Besonders plastisch kann man dies an der Entstehung, der Entwicklung und den Erfolgen von Amnesty International und anderer Menschenrechtsorganisationen erkennen. Amnesty International erinnert 2011 an ihr 50-Jähriges Bestehen. Gegründet 1961 gilt sie als eine der ersten echten internationalen Bürgerinitiativen, lange bevor die Protestkultur der 60er und folgenden Jahrzehnte sich richtig entfalten konnte. Organisiert in lokalen Gruppen, weltanschaulich neutral und versehen mit professionell verifizierten Informationen, konnte AI mit stetigen Brief- und Öffentlichkeitsaktionen viele Menschen vor Menschenrechtsverletzungen bewahren.

Urs M. Fiechtner, langjähriger AI-Aktivist sowie Herausgeber und Autor von Jugendbüchern zu Menschenrechtsthemen, beschrieb unlängst im Amnesty-Journal (Ausgabe 08-2011), wie er als Schüler an seiner Schule eine Amnesty-Gruppe gründen wollte. Sein Ansinnen, eine Organisation zu unterstützen, die sich für Opfer in westlich ausgerichteten Staaten genauso einsetzte wie für solche im Ostblock oder in Entwicklungsländern, war für viele damals unvorstellbar. Ein Lehrer diffamierte ihn als Terroristenfreund und von seinem Vater wurde er unter Druck gesetzt. Als globales Schriftstück niedergelegt, war der universelle Anspruch der Menschenrechte noch längst nicht im Bewusstsein angekommen.

Ganz anders heute, zumindest in Westeuropa. Menschenrechte und Amnesty International haben sich von Outlaw- zu Mainstream-Themen gewandelt. AI ist allseits geachtet, wird als Gesprächspartnerin und Expertin ernst genommen, teilweise gar gefürchtet, und hat Beraterstatus bei Internationalen Organisationen. In vielen Schulen in Deutschland ist die Behandlung von Menschenrechtsthemen mit Amnesty International als Beispiel inzwischen seit Jahren ein fester Bestandteil des Curriculums. Die Unterstützung von AI und anderen Organisationen ist ein Ausdruck aufgeklärter Bürgerlichkeit geworden, und das, obwohl die Radikalität ihrer Forderungen fortbesteht und vielfach uneingelöst ist. Zwischenzeitlich neu entwickelte Positionen, wie die ausnahmslose Ablehnung der Todesstrafe, der Einsatz für verfolgte Homosexuelle, die gleichberechtigte Berücksichtigung von Verletzungen sozialer Menschenrechte und andere waren Ziel heftiger, häufig ideologisch gefärbter Kritik, intern ebenso wie in der Öffentlichkeit. Mittel- bis langfristig betrachtet hat dadurch die Popularität der Organisation nicht gelitten. Jedoch hat sie sich teilweise auf neue Zielgruppen ausgerichtet.

Aber auch die grundsätzlichen Erfolge der gesamten Menschenrechtsbewegung sind, trotz des vielfach fortbestehenden Unrechts, über die Zeit betrachtet nicht gering: Rückgang der Folter in vielen Staaten, Aufmerksamkeit und teilweise Schutz für indigene Völker, das Ende der offiziellen Apartheid in Südafrika, die Todesstrafe auf dem stetigen globalen Rückzug, stärkere Aufmerksamkeit und rechtlicher Schutz für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Abkommen gegen Antipersonenminen und Streumunition, Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Parallel dazu haben die Bewegungen für Frauenrechte und für die Rechte von Schwulen und Lesben in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Wie viele Menschen hätten diese Entwicklung in den 50er Jahren als Zukunftsperspektive ernst genommen ?

Und das alles hat seinen Ursprung lediglich in einer Idee bzw. in vielen Ideen davon, was Menschenrechte bedeuten und auf welchem Wege sie durchzusetzen sind. Die Allgemeine Erklärung der Menschrechte als Dokument wurde noch durch eine kleine, elitär anmutende Kommission im Angesicht der Schrecken des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges verfasst. Ihre allmähliche Wirksamkeit entwickelte sich jedoch aus dem tausendfachen und dauerhaften Zusammenspiel von Vordenkerinnen und Aktivisten und ihrer zahllosen Multiplikatorinnen und Unterstützern. Inzwischen ist Amnesty International so etabliert, dass es zuweilen nicht mehr als Bürgerinitiative wahrgenommen wird, sondern als quasi-öffentliche Institution. Dass es auf die freiwilligen Beiträge vieler Einzelner ankommt, muss immer wieder neu kommuniziert werden. Dabei ist auch von wohlgesinnten Menschen gelegentlich Skepsis zu hören, ob ein kleiner Beitrag, wie ein Brief, eine Unterschrift oder lokale Gruppenarbeit wirklich zu einer größeren Beachtung der Menschenrechte führen kann. Das erinnert sehr an die Zweifel von Menschen, die zwar die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens richtig finden, aber nicht an ihre Realisierbarkeit bzw. Durchsetzbarkeit glauben können, u.a. weil sie sich selbst als machtlos erleben.

Auch sonst erkennt man in der Bewegung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen vieles aus der Pionierarbeit der Menschenrechtsbewegung wieder. Wenige Vordenker, aber viele Multiplikatoren. Vor allem aber: eine unermüdliche Stetigkeit der Aktion, die das öffentliche Bewusstsein prägt, dass diese Idee „dazu gehört“, nicht mehr aus der öffentlichen Agenda wegzudenken ist. Die Menschenrechtsbewegung hat ihre Erfolge über einen langen Zeitraum mit vielen kleinen Fortschritten errungen, die für sich gesehen sehr unvollkommen sind, solange das Unrecht im großen Stil andauert. Gegenüber der Daueraufgabe, den vielfältigen Menschenrechten globale und universelle Geltung zu verschaffen, ist der Wandel einer Gesellschaft hin zu einem Bedingungslosen Grundeinkommens jedoch ein konkretes und überschaubares Projekt. Allein die Dynamik der Debatte im deutschsprachigen Raum kann daher eigentlich nur Grund für Optimismus sein.
Kontinuierlich und gemeinschaftlich im Kleinen und Großen wirken, auch kleine Fortschritte würdigen, Widerstände als Herausforderung und nicht als Niederlage betrachten und die vollständige Vision nicht aus den Augen verlieren: mit dieser Haltung wird die Bewegung für das Bedingungslose Grundeinkommen nur gewinnen können.