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Obdachlos
Ist der “Schröderisme” gut für Europa? – Non!

Am 23. Mai 2013 feierte die SPD in Leipzig die Gründung des ADAV, des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, vor 150 Jahren, der Keimzelle der heutigen SPD. Damit begann eine Bewegung für mehr Demokratie und eine gerechtere Teilhabe am Volkseinkommen. Und es begann der Kampf um soziale Schutzrechte, der in den 1880er Jahren einen ersten Höhepunkt in der Schaffung einer Kranken- und Rentenversicherung für Arbeiter erreichte, die landläufig als Bismarcksche Sozialreformen bezeichnet werden. Der Kampf um einen gerechten Sozialstaat ist bis heute nicht beendet. Nur wird er heute noch von der SPD getragen? Vor kurzem wurde auch der Schaffung der so genannten Hartz-Gesetze aus dem Jahr 2003 gedacht und hat sich der Hauptverantwortliche, der Kanzler von 2003, Gerhard Schröder, dafür von seiner Partei und in der medialen Öffentlichkeit feiern lassen. Viel Beifall bekamen Schröder und die SPD dafür in Leipzig auch vom sozialistischen französichen Präsidenten Francois Hollande.

In einem Gastbeitag für die “Frankfurter Rundschau” vom 24.5.13 hat der Göttinger Politikwissenschaftler Prof. Franz Walter eine ganz andere Stimme aus Frankreich zu Wort kommen lassen. Unter der Überschrift “Deutschland ist kein Vorbild” referiert Walter Überlegungen und Einsichten des Chefredakteurs der Zeitschrift “Alternatives Economiques”, Guillaume Duval, eines vorzüglichen Kenners der deutschen Verhälnisse. Danach steht Deutschland in Europa vergleichsweise gut da: “nicht wegen der Schröderschen Reformen, sondern trotz dieser alles andere als segensreichen Weichenstellungen des Jahres 2003.” Nach Ausführungen über die Vorzüge des deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells kommt es bei Duval und Walter knüppeldick: “Der sozialdemokratische Kanzler sei der Propaganda orthodoxer Wirtschaftswissenschaftler und Medienstrategen mangels eigener politischer Substanz auf den Leim gegangen und habe die dort dominierende Interpretation, dass in Deutschland die Ausgaben für das Sozialsystem und den öffentlichen Sektor überbordend seien, kritiklos übernommen. Dadurch konnten sich in den sieben rot-grünen Jahren Ungleichheit und Armut spektakulär ausbreiten. …. Die ergeizige Steuerreform von Schröder mehrte das Vermögen der besitzenden Klasse, …. Die Kaufkraft der Deutschen sank ebenfalls in dieser Zeit einer “beispiellosen Attacke gegen das deutsche Sozialsystem.””

Auch bei Duval und Walter wird deutlich, dass wir in Deutschland kein Ausgabenproblem hatten und haben, sondern vielmehr ein erhebliches Einnahmenproblem. Durch Steuersenkungen, Steuerhinterziehung und raffinierte Steuervermeidungsstrategien fehlte und fehlt es an allen Ecken und Kanten für Bildung, für die Sanierung der öffentlichen Infrastruktur und für eine Vorsorge vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Probleme. “Der “Schröderisme” (wie auch der Merkelismus), so Duval, sei weit davon entfernt, die Lösung für die Probleme in Europa zu bedeuten.” Was heißt das für uns in Deutschland? Wir brauchen keine wirtschaftsliberale SPD und keine sozialdemokratisierte CDU, sondern Parteien, die weniger zurück blicken, sondern mutig nach vorne schauen. Wer hat die Kraft dazu? Wir brauchen Frauen und Männer, die Wirtschaft nicht als “die Deutsche Wirtschaft” begreifen, sondern als ein umfassendes Agieren aller Menschen, ein Wirtschaften, dass zu allererst dem Gemeinwohl dient und allen Menschen einen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Ergebnis sichert. Was wir gar nicht brauchen, sind Medienstrategen, die uns ein X für ein U vormachen, die Bertelsmannstiftung, die uns gerade den Verlust an hunderten Milliarden Euro zur Rettung von Europa “schmackhaft” machen will oder die von Arbeitgeberorganisationen im Jahr 2000 gegründete INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), heute unter dem Vorsitz des ehemaligen SPD-Mitglieds und “Super-Ministers” unter Schröder Wolfgang Clement, die seit Jahren für ein Zurückschneiden des Sozialstaats trommelt, lange Zeit unter tatkräftiger Mithilfe der “Talklady Nr. 1” Sabine Christiansen im Fernsehen.

Was für Deutschland schon nicht getaugt hat, kann man beim besten Willen Europa nicht wünschen. Merci Guillaume Duval, danke Franz Walter!

PS Liebe Freundinnen und Freunde von der SPD: Laßt Euch nicht ins Schrödersche Bockshorn jagen. Es gibt ein Leben jenseits von Hartz IV und anderen sozialen Grausamkeiten und das ist ein Leben mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Wer mehr darüber, diesmal aus französicher Perspektive, wissen möchte, den verweise ich aktuell auf den Beitrag “Gründe für ein Grundeinkommen” von Mona Chollet in der deutschen Ausgabe von “Le Monde diplomatique” Mai 2013.

Friends - not food
Taugt Steuerpolitik als Sozialpolitik?

Benzinpreise auf Rekordhöhe befeuern politische Debatten. FDP-Chef Rösler und die „Bild-Zeitung“ haben sich damit hervorgetan, eine Erhöhung der Pendlerpauschale zu fordern. Die Kritik an diesem Vorstoß beißt sich bemerkenswerterweise nicht nur am Für und Wider einer Erhöhung fest. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) zum Beispiel nutzt die Gelegenheit, die Pauschale grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie löse die Probleme nicht, fördere Energieverschwendung und sei unfair gegenüber denjenigen, die in die Nähe ihres Arbeitsplatzes ziehen, heißt es in einem Kommentar auf der Meinungsseite der Print-Ausgabe vom 10. April.

Die negative ökologische Wirkung der Pauschale liegt auf der Hand. Die soziale Komponente stellt sich bei genauerer Betrachtung auch nicht viel vorteilhafter dar. Die SZ hat den Steuerprofessor Frank Hechtner verschiedene Beispiele berechnen lassen. Das Ergebnis: Von einer höheren Pauschale würden „vor allem gut verdienende Alleinstehende“ profitieren. „Wer ein geringes Einkommen hat oder eine Familie ernähren muss, geht unter Umständen sogar leer aus.“ Wie die Zeitung herausstellt, liegt dies in der Logik des progressiven Einkommensteuertarifs. Für höhere Einkommen fallen höhere Steuertarife an; die steuerliche Absetzbarkeit der gleichen Kosten spart somit „Besserverdienern“ mehr Steuern als Niedriglöhnern: „Wer 2500 Euro im Monat verdient und 40 Kilometer von seiner Arbeit entfernt wohnt, würde bei einer höheren Pendlerpauschale eine jährliche Steuererleichterung von 284 Euro erhalten. Verdient er 6000 Euro, müsste er 425 Euro weniger an den Fiskus zahlen, obwohl die Ausgaben für den Liter Benzin oder Diesel gleich hoch wären.“

Als Mittel des sozialen Ausgleichs ist die Pendlerpauschale somit denkbar ungeeignet. Dies gilt natürlich genauso für die steuerliche Absetzbarkeit aller möglichen anderen Kosten: Im Einzelnen nutzen diese Vergünstigungen denjenigen am meisten, die am wenigsten darauf angewiesen sind; in ihrer Gesamtheit führen sie unser Steuersystem ad absurdum, weil der in der Theorie solidarische Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit in der Praxis ausgehebelt wird.

Wenn es um einen Ausgleich für soziale Zumutungen geht, sollten wir uns etwas anderes einfallen lassen als höhere Pendlerpauschalen und immer neue steuerliche Absetzungsmöglichkeiten. Was kann es an sinnvollen Alternativen geben?

Ein Wunderrezept, das alle als ungerecht empfundenen Bevor- und Benachteiligungen ausgleicht, wird es nie geben, das sollten wir uns als erstes klar machen. Die Benzinpreise werden angesichts knapper werdender Rohstoffe noch weiter steigen. „Wenn der Ölpreis steigt, kostet dies in Deutschland Wohlstand“, konstatiert Markus Sievers in einem Artikel im Wirtschaftsteil der Frankfurter Rundschau vom 11. April. Die Menschen müssten sich auf die steigenden Preise einstellen, und kein Staat könne ihnen diese Anpassungsleistung abnehmen. Bei „den ganz Armen, den Hartz IV-Empfängern“ sei jedoch ein Ausgleich über höhere Sätze erforderlich.

Darin steckt ein richtiger Gedanke: Dass ein ökonomischer Umbruch – und nichts anderes ist der Abschied vom billigen Öl – Verlierer hervorruft, ist unvermeidbar, aber die Gesellschaft soll dafür sorgen, dass nicht ausgerechnet diejenigen, die heute schon am schlechtesten dastehen, durch die Veränderungen noch schlechter gestellt werden.

Wenn die Steuerpolitik nicht geeignet ist, um diese soziale Abfederung zu bewerkstelligen, bleibt die Möglichkeit von direkten Zahlungen – wie die von Sievers vorgeschlagene Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen. Dieser Vorschlag greift aber zu kurz. „Geringverdiener“ ohne Hartz IV würden von der Erhöhung nicht profitieren, doch gerade sie sind teilweise existenziell auf das Auto angewiesen und sind die größten Leidtragenden der Benzinpreissteigerungen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre auch kein Wunderrezept, das alle Ungerechtigkeiten beseitigt, aber immerhin würde es das Einkommen von „Geringverdienern“ aufstocken und könnte den Kaufkraftverlust durch die steigenden Energiepreise zumindest teilweise ausgleichen. Das wäre ein direkter Effekt. Außerdem würde ein Grundeinkommen die Abhängigkeit von teuren Fahrten zur Arbeit verringern. Was dieser abstrakte Satz für die Praxis heißt? Da gibt es sicher nicht nur eine Antwort. Lassen wir uns gedanklich auf die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ein – nur so werden wir es herausfinden.

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