Ich
habe kürzlich das Buch „Grundeinkommen und Menschenwürde“ von Dr.
Brüne Schloen gelesen. Der Autor war Jahrzehnte als Steuerberater und
Wirtschaftsprüfer tätig und dürfte sich somit bestens mit unserem
derzeitigen System auskennen. Hier mein Kommentar:
Das
Buch ist als Weckruf eines parteilosen, aber umso politisch
engagierteren Mitbürgers zu verstehen, der unser Bewußtsein für derzeit
zwei besonders häßliche Fehlentwicklungen schärfen möchte, denen wir als
Gesellschaft mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten
sollten / müssen! Der Autor nennt diese Fehlentwicklungen
Reformattentismus und Plutokratisierung, die beide für eine politische
Haltung stehen, die verhindert, daß wir uns ganz aktuell mit der
notwendigen Aufmerksamkeit mit den massiven Verwerfungen unseres
Sozialstaates und den Herausforderungen der globalisierten
Digitalisierung auseinandersetzen.
Dieser
Vorwurf richtet sich ganz entschieden an alle Politiker aller Parteien,
die in unserem Parlament vertreten sind, unabhängig davon, ob sie in
der Regierungsverantwortung oder der Opposition tätig sind. Ihnen allen
ist mehr oder weniger gemeinsam, daß sie sich notwendiger Maßnahmen /
Reformen gegen verschärfende Gesellschaftsspaltung, zunehmende
Einkommensspreizung, Vermögenskonzentration, erodierendes Steuersystem,
Diskurslähmung und Bewußtseinstrübung gegenüber unseren schützenswerten
Grundwerten verweigern.
Alle
diese Defizitbereiche müssen dringend zurückgefahren werden, um den
gesellschaftlichen Zusammenhalt durch mehr Selbstbestimmung, mehr
gelebte Solidarität und mehr Menschenwürde zu gewährleisten. Dabei läßt
sich der Autor von der Überzeugung leiten, daß alle diese
Defizitbereiche durch eine ganzheitliche, grundsätzliche Reform unseres
derzeitigen Steuersystems für ein zukunftsfähiges Sozialsystem, das sich
im Kern auf ein bedingungsloses Grundeinkommen stützt, überwunden
werden können. Dazu liefert er gleichzeitig auch realistische (?)
Vorschläge, wie ein grundeinkommensgestütztes System sowohl
verteilungsfördernd als auch solide finanziert gestaltet werden kann.
Sein
Ergebnis: ein bedingungsloses Grundeinkommen, das er substanzielles
Grundeinkommen nennt, weil es aus heutiger Sicht wirklich auskömmlich
bemessen ist, ansonsten aber die Kriterien unserer BGE-Idee beibehält,
ist „solide“ finanzierbar! Das geht selbstverständlich nicht ohne eine
grundlegende Änderung unseres bestehenden Steuerregimes! Das bedeutet
andere Freibeträge, höhere Steuersätze, Verringerung von Sonderausgaben
und außerordentllicher Belastung, höhere und nachhaltigere
Erbschaftssteuer, besondere Besteuerung von Spekulationsgewinnen
(Immobilien), Einführung der Transaktionssteuer (noch nicht
berücksichtigt), allerdings auch eine Abkehr von dem gedanklichen
Ansatz, das Grundeinkommen im Wesentlichen über Konsumsteuern zu
finanzieren.
Angesichts
der vor uns liegenden, nicht mehr zu übersehenden Herausforderungen,
die all unsere Wahrnehmung und Achtsamkeit zu handeln erfordern,
plädiert Herr Dr. Schloen für eine vielschichtige und intensivere
Diskussion in Presse, Zivilgesellschaft und Netzwerken, vielleicht auch
unter Einbeziehung von Volksbegehren, mit dem Ziel, eine
parlamentarische Debatte zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen als
eine Voraussetzung für dieses Wagnis stattfinden zu lassen. Erst nach
einer so erfolgten Debatte sollte die Grundlage geschaffen sein, die
Höhe und Finanzierung des BGE und seine Einführungsmodalitäten
festzulegen!
Es
könnte vielleicht einmal Dr. Schloens (Mit-)Verdienst sein, daß seine
Idee der Umsetzung der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens
auf seinem Rechenmodell fußt, das es möglich erscheinen läßt, daß die
Einführung des BGE gewissermaßen als Operation am offenen Herzen
vollzogen wird – soll heißen, daß der Übergang aus dem heute bestehenden
System in ein neues zukunftsfähiges System gewagt werden kann.