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Europafahne
Pilotprojekte: Türöffner fürs BGE und für Europa

Pilotprojekte zur Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens  (BGE) lösen in der öffentlichen, wie z.T. auch wissenschaftlichen  Debatte in der Regel widersprüchliche Reaktionen aus. Die einen knüpfen daran völlig überzogene Erwartungen, weil sie davon ausgehen, dass solche Projekte etwa die generelle Sinnhaftigkeit oder auch die ökonomische Machbarkeit eines BGE wissenschaftlich beweisen oder – je nach persönlicher Positionierung – ggf. auch widerlegen könnten. Andere wiederum lehnen jede Art von Pilotstudie ab, weil sie überzeugt sind, dass damit ohnehin nur falsche oder unbrauchbare Ergebnisse produziert würden. Beiden extremen Positionen ist entschieden zu widersprechen:

– Selbstverständlich können der Sinn und die ökonomische Machbarkeit eines BGE im umfassenden Sinn, also eines BGE gemäß den bekannten Kriterien, mittels einer auf eine bestimmte Zielgruppe und eine begrenzte Dauer festgelegten Pilotstudie weder wissenschaftlich bewiesen noch widerlegt werden; schließlich gehört zu den Definitionsmerkmalen des BGE im Prinzip der universelle Charakter eines damit verbundenen individuellen Rechtsanspruchs auf lebenslange Zahlung an alle Bürgerinnen und Bürger – oder sogar auch an alle Aufenthaltsberechtigten – in einem Land. Das schließt in der Tat Parameter ein, die aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität in einer begrenzten  Pilotstudie auf keinen Fall repräsentativ und angemessen abgebildet und wissenschaftlich überprüft werden können. 

– Gleichwohl kann die probeweise Zuwendung eines BGE an eine bestimmte Zielgruppe für eine begrenzte Dauer durchaus Sinn machen, in dem Maße nämlich, wie eine aufgrund bestimmter homogener Merkmale klar definierte Gruppe von Menschen im Rahmen einer solchen Pilotstudie eine Reihe von untersuchungswürdigen und objektiv überprüfbaren Erfahrungen macht. Die Formulierung von entsprechenden empirischen Untersuchungsergebnissen muss selbstverständlich die für die Studie geltenden – und sie relativierenden – Grenzen und Rahmenbedingungen berücksichtigen; sie kann aber in diesem Rahmen durchaus relevante Aussagen machen, sei es im Hinblick auf bestimmte quantifizierbare Aspekte, sei es in qualitativer Hinsicht. 

So ist es durchaus bemerkenswert – und auch wissenschaftlich relevant –

wenn etwa bei der finnischen Pilotstudie festgestellt wird, dass die Arbeitsmotivation von Erwerbslosen sich in signifikanter Weise positiv verändert, sobald diese an Stelle einer klassischen, an Bedingungen und Gegenleistungen geknüpften staatlichen Transferleistung eine bedingungslose Zuwendung erhalten. Auf eine derartige Veränderung der Arbeitsmotivation kann z.B. mittels quantifizierbarer Daten aufgrund von Fragebögen oder Verhaltensanalysen geschlossen werden, oder auch mittels gezielter, themenzentrierter Interviews, die in einer qualitativen Analyse ausgewertet werden. Im besten Falle wird die finnische Studie aufgrund entsprechender Ergebnisse im nächsten Jahr dazu führen, dass die Politik künftig bei Transferleistungen an Arbeitslose auf Forderungen nach Gegenleistungen und/oder die Androhung von Sanktionen verzichtet. Ein solcher Schritt, so ungewiss er derzeit sein mag, und so bescheiden er angesichts der realen Herausforderungen wäre, sollte keineswegs gering geschätzt werden, auch im Sinne einer Signalwirkung, die davon für Europa insgesamt ausgehen würde. 

Das gilt, auch wenn sich andrerseits nicht leugnen lässt, dass es gegenwärtig schlecht um Europa bestellt ist, was eben vor allem damit zu tun hat, dass es bisher nicht gelungen ist, über die wirtschaftliche und monetäre Integration hinaus auch ein integriertes soziales Europa zu schaffen. Dies wiederum ist nicht zuletzt dem Widerstand der Finanzmärkte und der dominierenden mit ihnen verbündeten politischen Kräfte zuzuschreiben, die kein Interesse an einem „sozialen“ Europa haben, das sich auf mündige, für Demokratie und Selbstbestimmung eintretende sowie am Gemeinwohl orientierte Bürgerinnen und Bürger stützt, einem Europa, wie z.B. auch ein BGE es befördern würde. 

In diesem Zusammenhang mag die in jüngster Zeit aus gegebenem Anlass intensiv diskutierte Frage von Interesse sein, als wie aktuell die Thesen von Karl Marx gegenwärtig noch einzuschätzen sind. Gleich drei Mainstream-Ökonomen (Ingo Pies, Werner Plumpe und Bertram Schefold), beantworteten diese Frage am 7.5.2018 beim Hamburger ZEIT-GESPRÄCH (organisiert vom „Wirtschaftsdienst), jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven in bemerkenswerter Einmütigkeit in dem Sinne, dass mit Marx heute – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – „kein Staat mehr zu machen“ sei. 

Freilich gibt es auch andere Stimmen, etwa die des Arbeits- und Wirtschaftssoziologen Klaus Dörre aus Jena. Für ihn gibt es an der Aktualität zentraler Marxscher Thesen keinen Zweifel, weil die Marxsche Grundidee eines unausweichlichen Zwangs zur fortwährenden Akkumulation des Kapitals uneingeschränkt auch auf den aktuellen Finanzkapitalismus zutreffe. Im absehbaren weiteren historischen Verlauf gelte dies sogar noch verstärkt für den sich mittels sozialer Netzwerke und internationaler Medienkonzerne rasant weiterentwickelnden „digitalen Kapitalismus“.

Klaus Dörre beschreibt dieses Prinzip der nie endenden Kapitalakkumulation mit einem Begriff, der zwar nicht von Marx selbst stamme, der aber aus der späteren Imperialismus- und Kolonialismuskritik“ vertraut sei und das Gemeinte sehr plastisch und zutreffend beschreibe, nämlich dem Begriff der „Landnahme“. Tatsächlich lasse sich unschwer zeigen, wie der Kapitalismus immer wieder darauf angewiesen sei, sich neue Felder für Kapitalinvestitionen zu erschließen, und dies auch umsetze,

wobei sich solche Investitionen längst weitgehend, weg von der finanziellen Unterstützung konkreter realer Unternehmensprojekte, hin zu abstrakten und virtuellen Finanzprodukten verlagert hätten. Grundsätzlich habe sich jedoch an dem Prinzip der Inbesitznahme und des sich Einverleibens immer neuer, bisher noch nicht dem Kapitalismus unterworfener Subjekte, Objekte oder Strukturen geändert. Irgendwelche Chancen für eine Änderung dieses Sachverhalts seien nicht erkennbar. Einzig der Umstand, dass inzwischen der Klimawandel und Umweltzerstörungen im globalen Maßstab die Überlebensfrage der Menschheit und des Planeten stellten, lasse hoffen, dass dadurch noch ein radikaler Bruch mit dem zerstörerischen Prinzip fortwährender und nie endender Kapitalakkumulation erzwungen werden könne. Mit eben dieser Überlegung konfrontiert, fiel den erwähnten Mainstream-Ökonomen bei der Hamburger Podiumsdiskussion freilich als Gegenargument nur die „originelle“ These ein, dass – dem Sinne nach – die Welt aus ihrer Sicht im Gegenteil nur „durch noch mehr Kapitalismus zu retten sei“. Die Frage, wie das gehen solle 

ließen sie freilich unbeantwortet.  

 An dieser Stelle möchte ich dafür plädieren, in der Grundeinkommensbewegung, im Gegenzug zu einer solchen Reaktion, Klaus Dörres’ Metapher der „Landnahme“ mit umgekehrtem Vorzeichen zu verwenden, im Sinne von: „Europa  und seine Bürgerinnen und Bürger für das Grundeinkommen einnehmen“. Europäische Pilotprojekte werden so zu „Bulldozern“ bzw. zur „Vorhut“bei der Erschließung Europas fürs BGE. Außer den bereits laufenden können und sollten weitere Pilotprojekte mit anderen inhaltlichen Akzenten folgen, etwa zur Erprobung eines Kindergrundeinkommens oder zur Bekämpfung der Altersarmut. Eine besonders geeignete Zielgruppe wären Menschen, die freiwillig Angehörige pflegen möchten und aus diesem Grunde ihre Erwerbsarbeit reduzieren oder ganz aufgeben müssen. In den Niederlanden z.B. gibt es bereits Beispiele von Nachbarschaftsgruppen, in denen Menschen sich, bei Pflegebedarf von nahen Angehörigen, auf freiwilliger Basis zur wechselseitigen Unterstützung verpflichten. Was läge angesichts des generellen „Pflegenotstands“ in unseren Gesellschaften näher, als die Forderung, dass der Staat daraus ein Modell zur systematischen bedingungslosen finanziellen Unterstützung von pflegewilligen Angehörigen macht. Die EU-Kommission könnte

dazu eine dringende Empfehlung an die nationalen Regierungen aussprechen, sofern sie oder das EU-Parlament (oder auch beide) nicht selbst eine entsprechende Initiative ergreifen wollen. 

Aurélie Hampel, eine französische BGE-Aktivistin, schlägt ihrerseits ein Projekt für den Agrarsektor vor. An Stelle der bisher von der EU nach dem Gießkannenprinzip überwiegend in den industriellen Agrarsektor investierten Milliarden-Subventionen, könnten die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen direkt, in Form eines BGE, unterstützt werden. Ein entscheidender Gewinn läge dabei in besseren Chancen fürs Überleben, bzw. für die Neugründung, von kleineren, aber dafür umweltverträglich und nachhaltig wirt-schaftenden Betrieben in der Landwirtschaft; diese scheitern ja häufig nur daran, dass sie sich auf dem Markt nicht gegen die umweltfeindliche, über-mächtige Agrarindustrie behaupten können. 

Wiederum in den Niederlanden gibt es bereits mehrere regionale oder kommunale Pilotprojekte, die jeweils Teilaspekte unterschiedlicher BGE-Modelle erproben. 

Was läge auch hier näher, als dass solche regionalen oder kommunalen Projekte sich mit europäischen Partnern zusammenschließen, die über vergleichbare Rahmenbedingungen und Infrastrukturen verfügen und somit ähnlich gelagerte Interessen haben. In diesem Zusammenhang ist etwa das Angebot der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange an die aktuelle schleswig-holsteinische Regierungskoalition in Kiel zu erwähnen, in ihrer Stadt einen Feldversuch zum BGE zu starten. Im Rahmen dieser Initiative könnte z.B. die Zusammenarbeit mit bereits auf diesem Feld erfahrenen europäischen Partnern dem Projekt zusätzlich Gewicht und Bedeutung verleihen. 

Abschließend möchte ich selber noch das Projekt einer europäischen Pilotstudie skizzieren, bei der es um die m.E. für einen BGE-Feldversuch wie den in Flensburg ebenfalls besonders geeignete Gruppe von Berufsanfängern oder auch Quer- und Wiedereinsteigern geht. Es liegt auf der Hand, dass Personen dieser Gruppe einerseits in der Regel in besonderem Maße auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, da sie am Anfang einer Phase stehen, wo sie versuchen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Andrerseits handelt es sich zugleich um eine Gruppe, an der im Prinzip auch Wirtschaft und Politik ein besonderes Interesse haben sollten; ist sie doch besonders dafür prädestiniert, dass aus ihr künftig innovative Start-up-Unternehmen hervorgehen, einmal entsprechende Gelegenheiten zur Profilierung und Bewährung der Interessierten vorausgesetzt. Folgende Skizze zu Rahmenbedingungen und Eckdaten einer solchen Pilotstudie mag dazu dienen, diese Überlegungen weiter zu konkretisieren. 

So sollte im Rahmen der Studie: 

– allen Berufsanfängern (im o.g. erweiterten Sinn) die monatliche Zahlung eines Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichernden BGE garantiert werden,

– dies flächendeckend z.B. in 3 kleineren EU-Ländern mit unterschiedlichen Arbeitsmarkt-Rahmenbedingungen (alternativ: in vergleichbaren Regionen in größeren Ländern),

– das Ganze während einer Periode von 3 bis maximal 5 Jahren.

– Eine vergleichende Begleitstudie sollte Fragen der Be- und Entlastungswirkungen des BGE auf Jobchancen, ggf. Arbeitszeitkürzungen und verändertes Konsumverhalten der Betroffenen prüfen;  

– Ferner sollten signifikante Veränderungen des Arbeitsmarktes in den betroffenen Ländern berücksichtigt werden. 

Dazu gehören eine erwartete Entwicklung von Start-Up-Unternehmen, von Aktivitäten der Selbständigen sowie die Bereitstellung von offenen Stellen. Die Begleitstudie sollte sich auf quantitative wie qualitative Untersuchungsmethoden stützen, d.h. z.B. standardisierte Fragebögen, Interviews, Inhaltsanalysen. 

– Die benötigten finanziellen Mittel wären selbstverständlich vor allem abhängig von der Anzahl der in die Studie einbezogenen Länder (Regionen) und Personen. Die Kosten könnten sich aber, den entsprechendem politischen Willen einmal vorausgesetzt, durchaus in einem überschaubaren und realistischen Rahmen bewegen, zumal im Falle einer wünschenswerten ergänzenden Unterstützung seitens der EU. 

– Die finanziellen Investitionen dürften sich sogar auch unabhängig von erwarteten Ergebnissen der Studie als ökonomisch lohnend erweisen, insofern sie voraussichtlich wie ein „Konjunktur- und Job-Beschaffungsprogramm“ wirken würden. Gerade unter diesem Gesichtspunkt könnte die Zielgruppen-Orientierung eines solchen Projektes besonders attraktiv sein für den in Schleswig-Holstein anvisierten Feldversuch, wenn man einmal die Prioritäten und Sensibilitäten der derzeit dort regierenden Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen berücksichtigt. 

– Als ein nicht unerheblicherpositiver Nebeneffekt könnte sich dank der zu erwartenden Innovationsschübe – und zumal bei einer späteren Ausweitung des Projektes – ein spürbarer Rückgang der innereuropäischen Arbeitsmigration ergeben.

Alle in diesem Beitrag thematisierten, und möglicherweise weitere europäische Pilotprojekte stellen m.E. – gerade aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt –  Mosaiksteine im Dienste derselben Grundidee von mehr Solidarität, Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit in Europa dar. Ein ebenso naheliegendes wie gebotenes Ziel des Europäischen Netzwerkes UBIE könnte es deshalb sein, mittels Dokumentation einer Reihe von entsprechenden Projektergebnissen eine Synopsis (Gesamtschau) von Schritten zu einem europäischen BGE zu erstellen. 

Auch wenn auf diese Weise nicht sofort ein BGE im umfassenden Sinn (flächendeckend und gemäß den bekannten Kriterien) eingeführt würde, wäre daran doch erkennbar, dass der Geist des BGE weiter wächst; zugleich erfahren Bürgerinnen und Bürger dank konkreter Erfahrung eines BGE – oder BGE-ähnlicher Leistungen – europaweit am eigenen Leibe, dass es sich trotz aller Unkenrufe lohnt, für Europa und das europäische Projekt zu kämpfen.


[1]Vorgestellt von Klaus Dörre bei einem Vortrag im Rahmen der Tagung der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft zum Thema: „….nur verschieden interpretiert“? – zur Aktualität von Karl Marx“,  1.-3.6.2018 in Trier 

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Macht DIE WELT Werbung für ein Grundeinkommen?

So prominent hat bisher noch keine Tageszeitung das Thema Grundeinkommen herausgestellt. „1000 Euro“ in übergroßen Lettern auf Seite 1 und mit Ausrufezeichen wird sich einprägen und mit Sicherheit noch mehr Menschen fragen lassen: Warum denn nicht? Da spielt es fast keine Rolle, dass der Autor letztendlich die Einführung eines Grundeinkommens ablehnt. Aber „der gekaufte Bürger“? Eine unsinnigere These zur Ablehnung des Grundeinkommens wurde bisher kaum gewagt. Sie wird allenfalls von Kardinal Marx getoppt, dem Obersten aller Katholiken in Deutschland, der mit einem Grundeinkommen bereits die Gefährdung der Demokratie heraufdämmern sieht. Oder doch nur die Gefährdung der sicheren Kirchensteuereinnahmen?

Zugegeben, der Titel des Films „Free Lunch Society“ ist etwas unglücklich gewählt und rückt die Idee vom Grundeinkommen unzulässiger Weise in die Nähe des Traums vom Schlaraffenland. Und das Grundeinkommen ist natürlich nicht die „One-Size-Fits-It-All-Lösung“ für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit, wie der Autor unterstellt. Selbstverständlich ist das Grundeinkommen auch nicht so ohne Weiteres finanzierbar. Selbst wenn die Höhe des deutschen Sozialbudgets in Höhe von jährlich ca. 1.000 Milliarden Euro anzeigt, dass erhebliche Mittel zur Finanzierung des Sozialstaats bereitstehen, wird die Einführung eines Grundeinkommens Hand in Hand mit einer weitgehenden Steuerreform gehen müssen. Dabei dürfte über den Daumen gepeilt, das untere Drittel der Einkommenspyramide unter dem Strich gewinnen, es für das mittlere Drittel finanziell gesehen vermutlich zu einem Nullsummenspiel kommt und das obere Drittel belastet wird, wenn es bei der Einkommensverteilung ein wenig gerechter zugehen soll. Um es ganz deutlich zu sagen: Es geht beim Grundeinkommen auch um Verteilungsfragen und die „nerven“ bekanntlich in diesem Land.

Ja, der Arbeitgeberverband und die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen haben ablehnende Studien zur Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens vorgelegt. Bereits im Jahr 2010 hat allerdings auch die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU unter der Überschrift „Solidarisches Bürgergeld – Den Menschen trauen“ sich mit dem Grundeinkommen befasst und ein in sich schlüssiges Konzept dazu in Buchform vorgelegt, auch zur Finanzierung. Ein durchaus diskutabler Beitrag. Es ist auch völlig gleichgültig, unter welchem Namen ein Grundeinkommen einmal eingeführt wird. Entscheidend ist nicht, was draufsteht, sondern was drin ist. Es macht im Übrigen wenig Sinn, Menschen, die sich für ein Grundeinkommen einsetzen, als spinnerte Aktivisten – „irgendwie links, umweltbewusst oder konsumkritisch“ – abzumeiern. Übrigens standen die USA bereits vor bald einem halben Jahrhundert unter den Präsidenten Johnson und Nixon ganz kurz vor der Einführung eines Grundeinkommens, was am Ende im Senat nur an einer gezielten Falschmeldung über zu erwartende höhere Scheidungsraten gescheitert ist.

Den Befürwortern eines Grundeinkommens „geht es um die Verwaltung eines in Zement gegossenen Status quo“? Hängen nicht vielmehr die Gegner eines Grundeinkommens in einer Endlosschleife fest, wenn sie fordern „Bismarck muss bleiben“? Bismarck als Synonym für das überkommene System der sozialen Sicherung, das in allen Fugen kracht und das eine gewaltige Bürokratie nährt. Sie stellt am laufenden Band Empfänger von Grundsicherung und Hartz-IV-Empfänger immer wieder unter den Verdacht des Sozialbetrugs. Sie trägt dazu in hohem Maße zur verschämten Armut bei, da die „sozial Schwachen“, wie sie gern einmal abwertend diskreditiert werden, sich in der hochkomplexen Antragswelt der vielen Gesetze mit hunderten Paragrafen nicht auskennen. Was ist im Übrigen schlecht daran, frei von Leistungsdruck „an seiner kreativen Selbstverwirklichung zu werkeln“? Ist Selbstverwirklichung nicht ein ganz hohes Ziel unserer Menschenbildung? Nur selbstbewusste, gut gebildete Menschen können kreativ sein. Wir brauchen sie heutzutage mehr denn je. Ein Grundeinkommen könnte mit großer Sicherheit dazu beitragen, da es noch mehr Menschen ermöglichen würde, finanziell abgesichert sich für die eigene Weiterbildung zu entscheiden. Es ist darüber hinaus unzulässig, den Arbeitsbegriff nur auf die entgeltliche Arbeit zu beziehen. Was ist denn mit der ganzen Reproduktionsarbeit und der Pflegearbeit, die in unserer Gesellschaft im Wesentlichen von Frauen geleistet wird und kein selbständiges Einkommen und keine auskömmliche Altersversorgung mit sich bringt?

Ob „1000 Euro im Monat nicht viel Geld sind“ und „nur eine höhere Form der Armut“ bedeutet, liegt im Auge des Betrachters. Bei in 2014 ausgezahlten Durchschnittsrenten von 1.061 (993 in den NBL) Euro für Männer, bzw. 770 (532 in den NBL) Euro für Frauen müssen sehr viele ältere Menschen in Deutschland mit weit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen. Trotz beständig gestiegener Produktivität sind die Reallöhne seit Anfang der 1980er Jahre gesunken. Seit 1980 befindet sich auch die Lohnquote, der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen, im Sinkflug. Das ist gesamtwirtschaftlich eine außerordentlich bedenkliche Entwicklung. Es wird schlicht zu wenig konsumiert, wenn sich die Einkommen bei den besser verdienenden Selbständigen und Einkommensbeziehern aus Kapitalvermögen konzentrieren, die bedeutende Einkommensbestandteile „auf die hohe Kante“ legen und nicht konsumieren. Es soll an dieser Stelle keineswegs einem schrankenlosen Konsum das Wort geredet werden. Bei der Verwendungsrechnung des BIP machen die privaten Konsumausgaben etwa die Hälfte aus. Auf die Dienstleistungen entfallen davon ca. 35 %, die unter ökologischen Aspekten unbedenklich ausgeweitet werden könnten. Der Konsum im engeren Sinne, Nahrungsmittel, Bekleidung etc., schlägt mit ca. 25 % zu Buch und müsste nur wenig verändert werden. Wohnen und Verkehr mit ca. 40 % Anteil an den privaten Konsumausgaben sollten aus ökologischer Sicht allerdings deutlich zurückgefahren werden.

In der Tat, mit einem Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro monatlich könnte „kein Arbeitsloser damit heute ein sorgenfreies, „freies“ Leben führen“, was auch nicht der Kern eines Grundeinkommens ist. Vielmehr dient ein Grundeinkommen der Existenzsicherung auf einem menschenwürdigen Niveau. Horst W. Opaschowski spricht von minimaler Existenzsicherung und hat seinem Buch von 2007 den Titel „MINIMEX – Das Zukunftsmodell einer sozialen Gesellschaft“ gegeben. In der Regel wird ein Grundeinkommen den allermeisten Menschen nicht reichen, sodass weiterhin entgeltlich gearbeitet wird. Im Übrigen deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass mit einem Grundeinkommen eher mehr als weniger gearbeitet wird, da die intrinsische Motivation zu arbeiten, bei vielen Menschen mit einem Grundeinkommen offenbar steigt.

Von 41 Mill. Privathaushalten verfügten 4 Mill. in 2016 über ein Nettoeinkommen von bis zu 900 Euro im Monat und weitere 20 Mill. 901 bis in der Spitze (!) 2.600 Euro. Besonders prekär sind die Einkommensverhältnisse von Familien mit Kindern, insbesondere bei Alleinerziehenden. Eine aktuelle Studie der Ruhr-Universität in Bochum im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass mit Kindern das Armutsrisiko steigt, im reichen Deutschland ein Skandal für sich. Die gerade bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene ins Auge gefasste Kindergelderhöhung um 10 und später um weitere 15 Euro ist geradezu schäbig. insbesondere wenn man bedenkt, dass solche „Wohltaten“ bei Familien, die von Hartz-IV leben müssen, überhaupt nicht ankommen, da jegliches Kindergeld bei diesem Personenkreis auf die Unterstützungsleistungen angerechnet wird. Das Gleiche gilt für das Abschmelzen des „Soli“, den Hartz-IV-Empfänger und „Niedriglöhner“ überhaupt nicht zahlen. Der große amerikanische Ökonom J.K. Galbraith (1908 – 2006) führte die Weltwirtschaftskrise, den „Crash“ von 1929, unter anderem darauf zurück, dass den unteren Einkommensschichten anteilsmäßig am Volkseinkommen zu wenig für den Konsum zur Verfügung stand.

Wieso das „Konzept des Grundeinkommens neue finanzielle Abhängigkeiten vom Staat“ schafft, wird vom Autor zwar behauptet, aber nicht weiter ausgeführt. Das Gegenteil dürfte richtig sein. Der Staat wird hier zum Popanz, einer künstlich hergestellten Schreckgestalt, aufgebaut. Dabei kommt auch ein Grundeinkommen wie alle anderen einkommenswirksamen Zahlungen des Staats nicht von einem „allmächtigen Staat“, da der Staat per se gar kein Geld hat, es sei denn, wir überlassen es ihm in Form von Steuern und Abgaben. In einem demokratisch verfassten Staat entscheiden die Bürger nicht nur über die Höhe der Ausgaben, sondern auch über ihre Verwendung und das würde und muss selbstverständlich auch für ein Grundeinkommen gelten. Dass mit einem Grundeinkommen „eine neue Form von finanzieller Abhängigkeit vom Staat“ institutionalisiert würde, wird auch wieder nur behauptet, aber nicht weiter belegt. Von großem Vertrauen in demokratische Entscheidungen sind derartige Behauptungen nicht getragen. Und wieso der Bürger mit einem Grundeinkommen „vom Subjekt zum hilfsbedürftigen Objekt staatlicher Intervention“ mutiert, bleibt ebenfalls unerfindlich. Immerhin wird zugestanden, dass der „interventionistische Sozialstaat“ einer grundlegenden Reform bedarf und „dass das Grundeinkommen zu einer Reduzierung der Macht von Staatsbürokratien führen würde“.

Am 12.1.18 widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem Grundeinkommen unter der Überschrift: „Einfach mal aus dem System aussteigen?“ eine ganze Seite. Der Autor Georg Cremer war bis zu seiner Pensionierung im Juni letzten Jahres Generalsekretär des Caritasverbands. Er kommt zu dem Schluss, dass ein Grundeinkommen wohl finanzierbar wäre, wenn wir auf den Sozialstaat, wie wir ihn kennen, verzichteten. Er möchte es nicht und kommt deshalb zu einer Ablehnung des Grundeinkommens. Aber ganz wohl ist ihm bei seiner Ablehnung nicht: „Aber die Wünsche nach mehr Freiraum für Kreativität, nach sinnstiftender Arbeit und wertschätzenden Arbeitsbedingungen, nach Raum für Versuch und Irrtum sollten wir ernst nehmen. Ebenso den Wunsch freiberuflich Tätiger nach mehr Sicherheit oder den Anspruch, Grundsicherungsempfänger nicht zu beschämen“.

Warum gibt es noch kein Grundeinkommen? Die kanadische Sozialwissenschaftlerin Evelyn Forget, die das kanadische Mincome-Experiment (Minimales Einkommen) aus den 1970er Jahren noch einmal untersucht hat, hat es auf den Punkt gebracht: „Die politische Rechte fürchtet, dass die Menschen aufhören werden zu arbeiten und die Linke traut ihnen keine eigenständigen Entscheidungen zu“. Das Grundeinkommen ist ein Projekt der sozialen Sicherheit und der Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben. „Wer heute nicht weiß, wovon er morgen leben wird, kann nicht wirklich frei sein.“ (Karl-Hermann Flach 1929 – 1973, Generalsekretär der FDP unter Walter Scheel und Wegbereiter der Sozialliberalen Koalition von 1969). Mit der gerade zwischen den Koalitionären in Berlin aushandelten „Grundrente“ möchte man bei Geringverdienern die Altersrente aufstocken und mit dem von der Bertelsmann-Stiftung ins Spiel gebrachten „Teilhabegeld“ die unteren Einkommensgruppen begünstigen. Beide Maßnahmen sind ja grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, nur beides wären zusätzliche Instrumente einer Sozialstaatspolitik mit hohem regulatorischen Aufwand und den allzu bekannten Abgrenzungsproblemen: Wer soll es bekommen und wer nicht. Es ist an der Zeit, über ein einfaches, übersichtliches und gerechtes Transfersystem nachzudenken. Warum nicht über ein Grundeinkommen? Es muss ja nicht sofort allen 80 Mill. Menschen in Deutschland zu Gute kommen. Man könnte es Schritt für Schritt einführen. Aus vielen einzelnen Maßnahmen der Familienpolitik könnte ein einheitliches Kindergrundeinkommen entwickelt werden, für alle Kinder ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und ihren sozialen Status. Alle Menschen über 65 Jahre würden ein Grundeinkommen als eine Art Grundrente ohne bürokratischen Aufwand erhalten, wobei darüber hinaus erworbene Rentenansprüche selbstverständlich unangetastet bleiben. Beide Maßnahmen wären sozial gerecht, zielgenau und unbürokratisch. Der französische Schriftsteller Victor Hugo (1802 – 1885) hat einmal gesagt: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

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