Eine Pflicht zur Gegenleistung?
Niemand soll Hunger leiden müssen, klar. Und wir wollen niemanden vom
gesellschaftlichen Leben ausschließen, auch klar. Darüber sind wir uns
schnell mit fast allen einig. Aber dass das Grundeinkommen bedingungslos
gezahlt werden soll, das sei ja nicht richtig, hören wir oft. Zumindest
von denjenigen, die arbeitsfähig sind, solle man eine Gegenleistung
verlangen, wenn sie die Unterstützung der Gesellschaft in Anspruch
nehmen, das sei nur gerecht.
Jetzt einmal Hand aufs Herz: Haben die Leute, die diesen Einwand vorbringen, nicht im Grunde Recht?
OK, die Mehrheit der Menschen will etwas tun. Und
außerdem gibt es Menschen, von denen wir wegen ihres gesundheitlichen
Zustandes oder aufgrund ihrer Lebenssituation kein Engagement verlangen
können, vorübergehend oder auch dauerhaft. Aber wenn wir die Mehrheit
der Arbeitswilligen und die Minderheit der Arbeitsunfähigen ebenso wie
Kinder und Jugendliche, Rentnerinnen und Rentner für einen Augenblick
beiseite lassen: Was ist, wenn sich Menschen, nicht wegen Krankheit oder
persönlicher Ausnahmesituation, sondern aus schierer Unlust dauerhaft
dagegen sperren, etwas für andere Menschen zu leisten oder etwas zur
Gesellschaft beizutragen, nicht in Erwerbsarbeit, und auch nicht auf
andere Weise? Hand aufs Herz: Ist das nicht unsozial?
Wir sollten nicht drumherum reden: Es ist unsozial.
Und wenn solche Menschen die Unterstützung der Gesellschaft in Anspruch
nehmen, ist es legitim, von ihnen eine Gegenleistung zu erwarten. Will
heißen: Ich habe das moralische Recht, die betreffenden Menschen für
ihre Haltung zu kritisieren und sie aufzufordern, sich auf ihre soziale
Verantwortung zu besinnen und ihr Verhalten zu ändern.
Trotzdem ist es gerecht, wenn wir als Gesellschaft
auch diesen Menschen ein Grundeinkommen zahlen, bedingungslos, ganz
unabhängig davon, ob sie legitimen gesellschaftlichen Erwartungen
nachkommen oder nicht. Denn auch die „Fleißigen“ haben ihren Wohlstand
nicht allein „erarbeitet“, sondern zunächst etwas geschenkt bekommen:
Wer die Infrastruktur, das Rechtssystem und den Wissensstand unserer
Zivilisation nutzt und weiterentwickelt, baut auf der Frucht der Arbeit
vieler Generationen vor uns auf. Die natürlichen Lebensgrundlagen und
die zivilisatorischen Leistungen unserer Vorfahren sind der Verdienst
von niemandem von uns und gehören daher allen. Das Recht, am gemeinsamen
Erbe der Menschheit teilzuhaben, sollte sich schon deshalb niemand
„verdienen“ müssen.
Bis zu diesem Punkt ist es ein sehr grundsätzliches
Argument: Wer sich ethisch inakzeptabel verhält, darf kritisiert, aber
nicht mit dem Entzug der Lebensgrundlage bedroht werden. Gleichzeitig
gibt es sehr praktische Argumente, eine materielle Grundabsicherung
bedingungslos zu gewähren.
Wenn wir wirklich wollen, dass jeder Mensch
entsprechend seiner Möglichkeiten Leistungen für andere und für die
Gesellschaft erbringt, dann kommt es ganz entscheidend darauf
an, die Aufnahme von Arbeit und die Erbringung von Leistung einfach und
attraktiv zu machen. Hierbei wirken die autoritären Regelungen des
heutigen Sozialsystems mit ihrer Fixierung auf Vollzeit-Erwerbstätigkeit
kontraproduktiv. Unbezahlte Tätigkeiten werden in der Regel gar nicht
anerkannt, auch wenn sie gesellschaftlich sinnvoll sind. Ähnliches gilt
für so genannte geringfügige Beschäftigung.
Das Hartz-IV-System entmutigt Erwerbslose, sich über
diesen Weg eine berufliche Zukunft aufzubauen. Wer einen 400-Euro-Job
annimmt, ist weiterhin den behördlichen Schikanen ausgesetzt und darf
jenseits eines lächerlichen Freibetrages von 100 Euro von seinem Gehalt
nur 10 bis 20 Prozent behalten. Da kann man es gleich sein lassen. Auch
selbständige und freiberufliche Tätigkeit in (zunächst) geringfügigem
Umfang oder mit unsicherer und möglicherweise erst langfristiger
Rentabilität wird behindert. Wer mit seinen Aktivitäten nicht in die
starren Förderschemen für Existenzgründungen passt und nicht auf einen
Schlag genug erwirtschaftet, um kein ALG II mehr zu brauchen, hat Pech
gehabt: Es winken nicht nur horrende Abzüge vom „Nebenverdienst“,
sondern auch die Verpflichtung, die eigene Initiative zugunsten
wahlloser Bewerbungen zurückzustellen.
Der Entwicklung von Eigeninitiative ist mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens besser gedient. Es
macht mehr Formen von Arbeit möglich, und es macht Erwerbstätigkeit in
verschiedenen Formen einfacher und attraktiver. Wer legitimerweise für
gesellschaftliche Solidarität eine Gegenleistung erwartet, sollte das
bedenken: Wir werden mehr Gegenleistung bekommen, wenn wir sie nicht
versuchen zu erzwingen.