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Gemeinsam stark
Der Kardinal, das Grundeinkommen & die Demokratie

In der Tat, kaum ein sozialpolitisches Thema stößt auf so großes Interesse wie die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Und das ist gut so. Und im Kern geht es immer wieder um das Menschenbild. Dabei verwundert es schon, dass dem obersten Seelenhirten der Katholiken in Deutschland zum Grundeinkommen als erstes einfällt, die Menschen würden mit einem Grundeinkommen zu Hause herumsitzen und der Unterhaltungsindustrie anheimfallen. Es hat eigentlich nur noch das berühmt-berüchtigte Zitat aus dem Neuen Testament gefehlt, aus dem 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, auf das sich der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering gern einmal berufen hat. Einmal davon abgesehen, dass dieser Brief des Paulus von der theologischen Wissenschaft als nicht echt angesehen wird, hebt das Zitat auf die ganz besondere Situation ab, dass die Thessalonicher die Hände in den Schoß gelegt hatten, da das Himmelreich auf Erden unmittelbar bevorstehen würde, was von Paulus offenbar (noch) nicht so gesehen wurde.

Bereits heute schon erhalten Millionen Menschen in Deutschland ausschließlich eine Geldleistung zum Leben. Rente, Pension, Arbeitslosengeld oder Grundsicherung sind finanzielle Leistungen der Gesellschaft, ohne dass dafür eine irgendwie geartete Gegenleistung erbracht werden muss. Sitzen diese Menschen nun alle nur noch vor der „Glotze“? Weitere Millionen Menschen in Deutschland arbeiten, ohne dafür einen finanziellen Ausgleich von der Gesellschaft zu erhalten. Was ist mit den Menschen, die die Hausarbeit, die Kinderbetreuung, die Pflegearbeit in den Familien leisten oder sich im Ehrenamt engagieren? Nach dem sozioökonomischen Panel übersteigen diese Arbeitsstunden die vom Statistischen Bundesamt für 2015 gezählten 58,9 Mrd. Arbeitsstunden, die in den Betrieben geleistet und bezahlt wurden, deutlich. Wieso der Kardinal und der Kommentator in der Süddeutschen Zeitung zu der Annahme kommen, dass die Menschen mit einem Grundeinkommen massenweise „die Hände in den Schoß legen“ würden, bleibt unerfindlich.

Ein Grundeinkommen spaltet eine Gesellschaft nicht in die, die einer bezahlten Arbeit nachgehen und in die, die unentgeltlich arbeiten. Ein Grundeinkommen ist eine Anerkennung für geleistete gesellschaftlich wichtige Arbeit und ein Vertrauensvorschuss darauf, dass die Menschen mit einem Grundeinkommen etwas aus ihrem Leben machen. Nur wer heute nicht weiß, wovon er morgen leben wird, kann nicht wirklich frei sein (Karl-Hermann Flach). Bei ca. 350 Krimi-Sendungen wöchentlich im deutschen Fernsehen, bei „nur“ etwa 6 Morden wöchentlich (306 Morde jährlich im Schnitt der letzten fünf Jahre), kann man natürlich ins Grübeln kommen, wer da so alles ohne Ansehen der Person heute schon der Unterhaltungsindustrie anheimfällt, Jung und Alt, Arm und Reich. Und das soll mit einem Grundeinkommen noch mehr werden? Beweise werden dafür natürlich nicht beigebracht, das „weiß“ man ja, das wissen hochgebildete Kardinäle und investigative Journalisten eben. Und woher wissen die Befürworter eines Grundeinkommens, dass sich Menschen mit einem Grundeinkommen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf die faule Haut legen würden?

An vielen Ecken der Welt laufen Untersuchungen, Experimente und Modellversuche zum Grundeinkommen. So unvollkommen all diese Versuche sind zu ergründen, was ein Grundeinkommen mit den Menschen macht, so zeigt sich fast ausnahmslos, dass die Empfänger eines Grundeinkommens nicht nur den aufrechten Gang proben, sondern ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und befreit von existenziellen Sorgen beginnen, ihr Leben zu gestalten.  Dabei wird entgeltlich oder unentgeltlich weitergearbeitet, tendenziell offenbar mehr als ohne Grundeinkommen. Oder man bildet sich mit einem Grundeinkommen im Rücken weiter, um zu einem erfüllteren Leben zu kommen. Mit einem Grundeinkommen wird gerade nicht gesagt: Ihr werdet nicht gebraucht. Nach einer gerade publizierten Untersuchung einer weltweit tätigen Wirtschaftsberatungsgesellschaft könnten bis 2030 durch die Digitalisierung und durch den Einsatz von Robotern in Deutschland etwa ein Viertel der dann zu leistenden Arbeitsstunden wegfallen. Zwischen drei und zwölf Millionen Beschäftigte, bis zu einem Drittel aller Arbeitskräfte, müssten sich neue Fähigkeiten aneignen oder eine Stelle in einer anderen Branche suchen. Gemildert wird diese Entwicklung zwar durch die absehbare demografische Entwicklung, da das Arbeitskräftepotential bis 2030 voraussichtlich um drei Millionen Menschen sinken wird. Hier in dem massiven Umbruch in der Arbeitswelt, verbunden mit erheblicher Arbeitslosigkeit, liegt eine wirkliche Gefahr für die Demokratie. Ein Grundeinkommen könnte helfen, diesen gewaltigen Veränderungsprozess abzufedern und damit der Demokratie sogar einen Dienst erweisen. Sollte dem Kardinal bei der Analyse der gesellschaftlichen Veränderungen ein Kardinalfehler unterlaufen sein?

StreetArt
Nicht Amazon, sondern Menschen brauchen ein Grundeinkommen!

Thorsten SCHOOP propagiert in seinem Beitrag mit dem plakativen Titel
“AMAZON BRAUCHT GRUNDEINKOMMEN“
die Idee, dass riesige von ihm in der Wirtschaft  erwartete Rationalisierungsgewinne d i e  Chance seien, in absehbarer Zeit das BGE einzuführen.  Er ist sich aber offensichtlich nicht der gravierenden Implikationen bewusst, die der von ihm beschriebenen „Logik“ im Hinblick auf das damit transportierte Menschenbild innewohnen. Zu dem Menschenbild, für das wir uns – jedenfalls nach meinem Verständnis – bisher mit dem BGE im Hamburger Netzwerk eingesetzt haben, steht jenes jedenfalls in krassem Widerspruch. 

Richtig ist wohl Thorstens Annahme, dass die Tendenz zu weiterer Rationalisierung und Automatisierung unerbittlich fortschreitet. Sicher kann man dem auch einige positive Seiten abgewinnen; so mag es durchaus Bereiche geben, in denen eine weitere Automatisierung sinnvoll sein kann. Etwa da, wo den Menschen auf diese Weise noch körperlich schwere oder geistig stumpfsinnige Arbeit abgenommen wird.

Andrerseits haben wir uns zu fragen, ob wir uns den von Thorsten und anderen begeistert als Finanzierungsreserve für ein BGE begrüßten „Produktivitätsfortschritt“ in diesem Ausmaße überhaupt wünschen sollen. Ich kann jedenfalls für mich sagen: Im höhen Alter möchte ich  n i c h t  von einem Roboter gepflegt werden. Ich möchte auch n i c h t, dass meine Enkel und Urenkel überwiegend von Robotern erzogen und unterrichtet werden. Darauf, dass meine Einkäufe von einem Roboter getätigt und zu Hause in den Kühlschrank eingeräumt werden, will ich gerne verzichten. Ich frage mich also eher: Was können wir einer solchen weitgehend überflüssigen, menschlich problematischen bis absurden und abwegigen Entwicklung entgegenstellen?

 Niemand sage, die Entwicklung sei ohnehin nicht aufzuhalten. Die Frage ist sehr wohl, was wir wollen, was wir nicht wollen und was wir eventuell zulassen wollen. Entsprechende konkrete Vorschläge zur Postwachstums- und Gemeinwohl-Ökonomie weisen m.E. durchaus bedenkenswerte Perspektiven auf; und ein BGE wäre, sofern der politische Wille dazu erst einmal da ist, auch unter diesen Vorzeichen realisierbar.

Im Gegenzug möchte ich durchaus, dass ein BGE, für das ich mich heute engagiere, den Menschen morgen ermöglicht, produktive und kreative Eigenkräfte auf der Ebene ihres Denkens, Fühlens und Handelns zu entwickeln und zu entfalten. Das wird nur möglich sein, wenn sie von klein auf die Chance haben, sich im Gebrauch dieser Eigenkräfte zu üben, wenn sie also Chancen haben, diese im alltäglichen Umgang miteinander zu praktizieren. Genau dies würde aber voraussichtlich durch eine über-bordende Automatisierung in Frage gestellt. Unsere physischen, psychischen und geistigen Eigenkräfte würden verkümmern, wenn wir den größten Teil der Alltagsaufgaben blutleeren Maschinen übertragen. Die Frage, wie wir das entstehende gähnende Loch der Langeweile der immer zahlreicheren Menschen ohne Erwerbsarbeit mit immer absurderen und immer über-flüssigeren Freizeit- und Konsumangeboten auffüllen, würde sich dagegen nur umso dringlicher stellen.

Eine – auch partielle oder progressive – Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie Thorsten SCHOOP sie propagiert, würde in der Tat einen beträchtlichen Anreiz für die Unternehmen schaffen, noch mehr zu rationalisieren, um im fortbestehenden Konkurrenzkampf die Preise zu halten oder gar zu unterbieten.

Ob die Unternehmen dazu motiviert oder gezwungen werden könnten, einen entsprechenden „Rationali-sierungsgewinn“ für die Gewährleistung eines Grundeinkommens zur Verfügung zu stellen, ist eine andere Frage. Aber selbst wenn diese reale Schwierigkeit gelöst werden könnte, würde dies doch in keiner Weise dazu beitragen, den bisher von Unternehmen und Gewerkschaften in paradoxer Einmütigkeit unterhaltenen Teufelskreis zwischen Stimulierung der Massenkaufkraft und ungebremstem Konsumismus zu zerschlagen.

Dies könnte vielmehr nur gelingen, wenn parallel zu einer allmählichen Erhöhung der Mehrwertsteuer (bzw. besser: zu ihrer konsequenten Überführung in eine kombinierte Öko- und Konsumsteuer) Einkommensteuer und Sozialabgaben schrittweise abgeschafft würden. Nur so könnte der ungesunde übermäßige Leistungs- und Konkurrenzdruck aus der Wirtschaft genommen und ein angemessenes, demokratisch gewolltes BGE gewährleistet werden; erst dieses hätte dann die Chance, unabdingbare Voraussetzung für eine wirklich nachhaltige und lebenswerte Postwachstumsökonomie zu sein. 

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