Schritt für Schritt zu mehr Nachhaltigkeit und Solidarität
Vorbemerkung
Es mag hilfreich sein,
den folgenden Beitrag in den Kontext der europäischen
Grundeinkommensbewegung zu stellen. Bekanntlich fand im Jahr 2013 eine
„Europäische Bürgerinitiative” zum Bedingungslosen Grundeinkommen statt,
d.h. ein erster Versuch, die Europäische Kommission mit dieser Idee zu
befassen. Nach den Regularien dieses seit 2012 in der EU etablierten
Instruments direkter Demokratie wäre das auch eingetreten, wenn die
Initiative innerhalb eines Jahres mehr als eine Million Unterschriften
auf sich vereinigt hätte. Leider ist das so nicht gelungen – es waren am
Ende etwa 300.000 Unterschriften. Doch ein anderes Ziel wurde erreicht,
nämlich eine erhebliche Steigerung des europaweiten Bekanntheitsgrades
der Idee des Grundeinkommens, was letztlich mehr Gewicht hat. Waren doch
noch beim Start der Initiative im Januar 2013 „nur” 15 EU-Länder dabei,
während ein Jahr später bereits 25 von insgesamt 28 EU-Staaten
vertreten waren, darunter alle wichtigen bevölkerungsreichen Länder.
Dieses ermutigende Ergebnis
führte im April 2014 dazu, dass sich in Brüssel ein „Europäisches
Grundeinkommens-Netzwerk” gründete, und zwar unter der Bezeichnung
„Unconditional Basic Income Europe” (U.B.I.E.). Als Zwischenglied
zwischen dem globalen „Basic Income Earth Network”, das alle zwei Jahre
einen „Weltkongress” durchführt (das nächste Mal 2016 in Seoul) und den
diversen europaweit agierenden nationalen Netzwerken, hat es sich zum
Ziel gesetzt, die mit der Europäischen Bürgerinitiative begonnene Arbeit
fortzuführen.
Der folgende Beitrag reiht sich in diese Bemühungen
ein. Er versteht sich als Arbeitstext im Sinne eines “working in
progress”. Erklärtes Ziel ist es, ein Konzept für die schrittweise
umzusetzende Einführung eines garantierten Grundeinkommens für alle
Menschen in Europa zu erarbeiten.
Die Finanzierung soll sich
gemäß der hier vertretenen Position auf eine Fiskal-Reform stützen, mit
der bisher erwerbsarbeits- und gewinnabhängige Steuern durch eine
“Besteuerung des Konsums” bzw. durch eine an eine nachhaltige
Gemeinwohlbilanz geknüpfte “Wertschöpfungssteuer” ersetzt werden. Nach
Überzeugung des Autors sind Wertschöpfung und Konsum in der Tat nicht
nur unverzichtbare zentrale Grundlagen jedes Wirtschaftskreislaufs,
sondern auch die am ehesten geeigneten “Stellschrauben” für fiskalische
Eingriffe, die nicht Partikularinteressen oder Klientelpolitik bedienen,
sondern ernsthaft der Sorge ums Gemeinwohl geschuldet sind.
So geht es in diesem Beitrag um die konkrete
Utopie der schrittweise umzusetzenden, europaweiten Einführung eines
Grundeinkommens mittels einer Steuerreform, die im Dienste des
„Gemeinwohls“ steht, und zwar ohne dass Steuerzahler mit geringen oder
mittleren Einkommen mehr als bisher belastet werden. An die Stelle der
bisherigen – überwiegend quantitativen – muss eine qualitative
Vorstellung von Wertschöpfung und von Ökonomie insgesamt treten,
zugleich mit der Perspektive einer „enkeltauglichen Zukunft“.
Um den
Wertschöpfungsprozess in diese Richtung zu lenken, sind von zwei Seiten
her entsprechende Anreize zu schaffen:
– Einerseits am Beginn der Wertschöpfungskette,
also bei der Entscheidung über die für die Produktion von Gütern und
Dienstleistungen zu verwendenden Ressourcen, Materialien und
Transportwege.
– Andererseits am Ende der Kette, bei den Kaufentscheidungen der Endkonsumenten.
– Schließlich muss sichergestellt sein, dass alle
Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten über ein ausreichendes
regelmäßiges Einkommen verfügen, um überhaupt entsprechende
Kaufentscheidungen treffen zu können. Konkret führt dies zu folgenden
Steuerreform-Maßnahmen:
(1) Die bisher vor allem von Großunternehmen für
«legale Steuervermeidungsstrategien» genutzte Körperschaftssteuer wird
durch eine an ökosoziale Kriterien geknüpfte Steuer, kurz
„Wertschöpfungssteuer“, ersetzt. Die Idee knüpft am Vorschlag eines
“ökologischen Grundeinkommens” von Ulrich Schachtschneider an, der dafür
seinerseits auf spezifische ökologische Steuern als Finanzierungsquelle
zurückgreift. (siehe: U.
Schachtschneider: ”Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit.
Mit dem
Ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle“, München 2014). Allerdings
kommen die von ihm vorgeschlagenen Steuern zum bisherigen System hinzu,
während der Charme der hier vorgeschlagenen Lösung darin liegt, dass
sie “zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt”: Statt Missbrauch der
Körperschaftssteuer Förderung des Gemeinwohls. Um effektiv zu sein,
setzt eine solche Steuer internationale Akzeptanz voraus; ein
mittelfristiges Etappenziel wäre insoweit eine europäische Fiskalunion
zur Unternehmensbesteuerung mit vergleichbaren Zielen.
(2) An die Stelle der aktuellen Mehrwertsteuer
sowie aller an Erwerbsarbeit geknüpften Abgaben und Steuern tritt ferner
mittelfristig eine umfassende Konsumsteuer, die entsprechend höher als
die aktuelle Mehrwertsteuer anzusetzen ist. Flexible Konsumsteuertarife
berücksichtigen soziale Aspekte und beeinflussen ihrerseits die
Nachfrage zugunsten einer wünschenswerten ökosozialen Wertschöpfung.
(3) Zusammen bilden beide Steuerarten die Finanzierungsvoraussetzung für ein «Garantiertes Grundeinkommen in Europa», dessen Höhe auf der Grundlage einer seriösen Machbarkeitsanalyse demokratisch zu beschließen ist.
An dieser Stelle mag die kritische Frage
aufkommen: « Wozu brauchen wir ein „Europäisches Grundeinkommen“? Ist
das nicht ein viel zu ehrgeiziges, kaum zu bewältigendes Projekt? Wäre
es nicht realistischer und zielführender, zunächst einmal in aller
Bescheidenheit ein Grundeinkommen auf nationaler Ebene anzustreben, dem
dann vielleicht eine Vorbildfunktion für andere Länder zukommen kann?
Solche auf den ersten Blick einleuchtenden
kritischen Rückfragen berücksichtigen allerdings nicht, dass die
sozialen und politischen Rahmenbedingungen in Europa sich gerade
dramatisch verändern. Es geht eben um weit mehr als um bloße Zweifel an
zu bürokratischen, sozial ungerechten oder politisch ohnmächtigen
europäischen Institutionen. Mit der griechischen Krise, mit der Frage
der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, mit den Stimmenzugewinnen
rechtspopulistischer Parteien oder auch mit den Austritts-Drohgebärden
der britischen Regierung stellt sich vielmehr grundsätzlich die Frage:
Was wird aus Europa? Ist Europa noch zu retten?
Aber auch: Kann vor diesem Hintergrund die
Einführung eines Grundeinkommens überhaupt noch das vordringliche
politische Ziel sein? Wird das Grundeinkommen nicht vielmehr unversehens
eher ein Mittel – unter anderen – zu eben diesem umfassenderen Zweck,
Europa zu retten? Konkret und positiver formuliert: Kann die Perspektive
eines garantierten Grundeinkommens, finanziert mittels eines
europaweiten, effektiveren und gerechteren Steuersystems, vielleicht
dazu beitragen, einen Ausweg aus den aktuellen europäischen Dilemmata zu
weisen?
Ein Blick in die Geschichte zeigt immerhin
Beispiele für die Verwirklichung von sozialen Reformideen, die den
Menschen zu ihrer Zeit zunächst völlig utopisch erschienen sein dürften,
deren Konsequenzen gleichwohl historische Bedeutung erlangt haben und
heute nicht mehr wegzudenken sind! Wer in Europa würde sich etwa noch
ein Leben ohne Krankenkasse und Sozialleistungen zurückwünschen! Braucht
Europa also einen neuen Bismarck, der es verstünde, das Grundeinkommen
ins Kalkül seiner Machtpolitik einzubauen? Ohne das beharrliche
Engagement der den Wandel fordernden Menschen wäre freilich auch ein
Bismarck kaum für seine Reformen zu motivieren gewesen. Vielleicht
sollten wir deshalb doch eher auf die Menschen setzen, die nicht länger
bereit sind, zum Himmel schreiende Skandale hinzunehmen.
THESEN:
Ein dreifacher gravierender „Skandal“ blockiert
in der Tat derzeit eine für eine Mehrheit akzeptable Entwicklung eines
sozialen, ökologischen und politischen Europa:
(1) Eine doppelte Schere zwischen Arm und Reich,
die zwischen armen und reichen Menschen und die zwischen armen und
reichen Ländern,
(2) Die Hilflosigkeit der politischen Entscheider angesichts realer ökonomischer und ökologischer Herausforderungen,
(3) Die Gefährdung des historisch einzigartigen europäischen Einigungsprojektes durch die für all dies verantwortliche, globale Finanzelite;
Skandal Nr.1 muss hier nicht näher belegt werden.
Er springt den Menschen seit Jahr und Tag auf der Straße und aus den
alltäglichen Nachrichten entgegen. Auch Skandal Nr. 2 und 3 werden immer
evidenter für alle, die genau hinschauen. Im Widerspruch zur britischen
Drohkulisse lautet die vierte These:
(4) Nur die Fortführung des europäischen
Einigungsprojekts, verknüpft mit einem konsequenten Systemwechsel kann
auf längere Sicht europaweit Frieden, Nachhaltigkeit und soziale
Gerechtigkeit garantieren.
Aspekte und Perspektiven des Systemwechsels
Die Finanzmärkte – und leider zumindest auch ein Teil der Eliten aus Wirtschaft und Politik – fürchten in der Tat nichts mehr als ein starkes und solidarisches Europa, das nicht so leicht unter Druck zu setzen wäre. Die jüngste Entscheidung der EZB, die Märkte mit Milliarden zu fluten, – was den Menschen als kraftvoller Befreiungsschlag aus drohender Deflation verkauft wird -, ist in Wirklichkeit eher ein Offenbarungseid der Politik.
Die unterwirft sich damit dem Diktat der Finanzmärkte und ihrem immer gleichen Handlungsmuster, wonach mit Geld Zeit erkauft wird. Leider wird die gewonnene Zeit nicht für Strukturreformen genutzt, die Europa wieder stark machen könnten.
Eine durchaus mögliche und gebotene Alternative muss deshalb dringend das System selbst in Frage stellen: An die Stelle der von den Märkten als oberstes Ziel angestrebten „Gewinnmaximierung für wenige“, setzt dieser Weg auf die „Gemeinwohloptimierung für alle“. Wichtige dafür erforderliche Hebel liegen als Konzepte längst vor. Sie müssen „nur“ politisch gewollt werden. Es sind z.B.
– Einerseits eine „Vollgeldreform“; sie bricht mit dem Prinzip, die Kompetenz der Geldschöpfung per Kredit den privaten Banken zu überlassen. Das hoheitliche Recht der Geldschöpfung würde wieder ausschließlich einer Zentralbank oder einer anderen wirklich unabhängigen Institution (Monetative) übertragen. Nur so kann die Finanzwirtschaft an der Verfolgung ihres obersten Ziels einseitiger Gewinnmaximierung gehindert und zugleich der Staat von seiner Schuldenlast befreit werden. Siehe dazu: www.monetative.de
– Andererseits eine Neuorientierung der Wirtschaft, z.B. an den Prinzipien der „Gemeinwohlökonomie“, die darauf abzielt, das Prinzip einer konsequenten Gemeinwohlorientierung in der Realwirtschaft umzusetzen, und zwar nicht im Sinne von „top-down“ aufgezwungenen Maßnahmen, sondern von „bottom-up“ selbstbestimmt entwickelten Reformen, die von den Unternehmen gewollt, demokratisch beschlossen und umgesetzt werden. Siehe dazu: Christian Felber: „Gemeinwohlökonomie“, Wien 2010“.
– Als weitere in dieselbe Richtung weisende
Bewegungen sind z.B. zu nennen: „Mehr Demokratie“ und „Democracy
International“ „Regional- bzw. Komplementärwährungen“,
Postwachstumsökonomie“, „Solidarische Ökonomie“, „Commons“, ….
Der Vorschlag eines europaweit schrittweise einzuführenden Grundeinkommens mittels einer konsequent sozialökologischen Steuerreform stellt ein im Prinzip von den genannten systemischen Reformen unabhängiges Maßnahmenpaket dar, auch wenn alle die Orientierung am Gemeinwohl und viele das Ziel der Nachhaltigkeit teilen. Der hier vorgestellte Steuer-Reformvorschlag kann deshalb ergänzend zu den genannten Ansätzen oder auch unabhängig davon umgesetzt werden.
Der europaweite Steuer-Reformprozess im Überblick
Die erste Stufe entspricht einem Vorschlag von Jean-Marc Scattolin vom „Mouvement français pour un revenu de base“, konzipiert für Frankreich, aber europaweit anwendbar und kurzfristig realisierbar: Eine fiskalische an Stelle der aktuellen beitragsbasierten Finan-zierung der Sozialleistungen würde soziale Standards sichern, ohne in die europäischen Sozialsysteme einzugreifen. Die Maßnahme könnte auf Initiative des EU-Parlaments oder der Kommission, eventuell auch durch eine Europäische Bürgerinitiative angestoßen werden. Unternehmen und Lohnempfänger würden von der Sozialbeitragspflicht entlastet. Die Sozialkosten würden alternativ durch Einnahmen aus der Mehrwertsteuer gedeckt.
In einer zweiten Stufe wäre der Vorschlag einer
„Euro-Dividende“ zu nennen, den Philippe van Parijs gemacht hat. Er ist
Inhaber des Hoover-Lehrstuhls für Ethik der Ökonomie und des Sozialen in
Leuwen (Belgien) sowie Mitbegründer des weltweiten
Grundeinkommens-Netzwerkes BIEN. Die Euro-Dividende ist eine erste
überzeugende Antwort auf die Herausforderung der doppelten Armutsschere
in Europa. Gemäß diesem Vorschlag würde sich eine EU-weite angemessene
Erhöhung und Harmonisierung der bestehenden Mehrwertsteuersätze wie ein
„Europäischer Länder-Finanzausgleich“ auswirken und die Finanzierung
eines „Europäischen Sockelgrundeinkommens“ garantieren.
Die als Ersatz für die Körperschaftssteuer
vorgeschlagene „Wertschöpfungssteuer“ könnte nötigenfalls bereits auf
dieser Stufe als ergänzende Ressource die Finanzierung der
Euro-Dividende über die Mehrwertsteuer ergänzen. Das Gleiche gilt im
Prinzip für weitere mögliche Ressourcen wie eine wiedereingeführte
Vermögenssteuer oder eine Trans-aktionssteuer. Bestehende Sozialsysteme
würden bis zu einer Konsolidierung und Überprüfung der Maßnahme
beibehalten, wären ggf. anzupassen oder umzubauen.
Für die dritte Stufe, d.h. für ein garantiertes
Grundeinkommen, das ein Leben in Würde und reale gesellschaftliche
Teilhabe für alle garantiert, würden zusätzlich auch Lohn- und
Einkommensteuern durch die Besteuerung des Konsums ersetzt, was Im
Prinzip im Wesentlichen kostenneutral erfolgen könnte und sollte. Für
die Finanzierung eines solchen umfassenderen Grundeinkommens würde auf
dieselben Prinzipien und Ressourcen wie vorher beim Sockelgrundeinkommen
zurückgegriffen. Bestehende Sozialsysteme würden zunächst beibehalten.
Behutsames Vorgehen, Schritt für Schritt, würde auch auf dieser Stufe
Überprüfungen ermöglichen.
Europaweiter Reformprozess im Detail
1. Stufe, kurzfristig: Sozialleistungen statt über Beiträge mittels Besteuerung des Konsums finanzieren
Eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer für die
Finanzierung der Sozial-eistungen liegt im wohlverstandenen Interesse
der Bürgerinnen und Bürger, der Unternehmen und auch der Politik. Eine
partielle fiskalische Finanzierung gibt es ja längst. Der immer
dramatischere Verlust von Arbeitsplätzen gefährdet so nicht länger
Standards sozialer Sicherung. Die gemäß aktuellem Stand für
Sozialleistungen verfügbare Summe bleibt unabhängig von der Anzahl der
Erwerbsarbeitsplätze in etwa konstant; Konstant bleiben, trotz mancher
hartnäckiger gegenteiliger Behauptungen, auch die Preise; die
Unternehmen werden dank Wegfall der Lohnnebenkosten nämlich zunächst
sogar entlastet, auch wenn dieser Umstand durch die nötige entsprechende
Mehrwertsteuer-Anpassung wieder ausgeglichen wird.
Jedes europäische Land kann dann, – gemäß seinem
Vorjahresaufwand für soziale Leistungen – eine Pauschale aus
Mehrwertsteuer-Einnahmen einplanen; Darüber hinaus bedarf es zunächst
keiner weiteren strukturellen Änderungen. Weitere Vorteile sind:
Bürgerinnen und Bürger machen europaweit positive Erfahrungen mit einem
sozialen Sicherungssystem. Ein möglicher Bürokratieabbau kompensiert
zusätzliche Kosten, die dadurch entstehen, dass Transferleistungen für
Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger – die
bisher keine Beitragszahler sind – anzupassen wären, um sie nicht zu
sehr durch die zwangsläufig partiell erhöhte Mehrwertsteuer zu belasten.
2. Stufe, mittelfristig:
EURO-DIVIDENDE – ein europäisches Sockelgrundeinkommen
Vor dem Hintergrund einer solchen breit angelegten positiven Erfahrung sollte es gute Chancen für die Umsetzung auch der nächsten Stufe des Reformprozesses in Richtung „Nachhaltiges und solidarisches Europa“ geben, nämlich für die Einführung des bereits erwähnten Sockelgrundeinkommens, auch „Euro-Dividende“ genannt. Es sollte ohne andere Auflagen als den Nachweis des Wohnsitzes an alle ausgezahlt werden und im Schnitt z.B. der Kaufkraft von etwa 200,- € monatlich in den reichsten Ländern entsprechen – dem Preisniveau entsprechend weniger in den ärmeren Ländern.
Es wäre eine erste wirklich überzeugende Antwort auf die eingangs erwähnte Herausforderung der„doppelten Schere zwischen Arm und Reich“. Über eine Anpassung der Höhe der Zuwendung an andere realwirtschaftliche Faktoren in den einzelnen Ländern wäre zu diskutieren. Ebenso, nach genauer Kalkulation des erforderlichen Aufwands, über die Frage, ob Erwachsene, Jugendliche und Kinder den gleichen Betrag erhalten sollen, eventuell Kinder die Hälfte.
Der bekannte slowenische Ökonom Joze Mencinger hat die konkreten ökonomischen und fiskalischen Voraussetzungen und Auswirkungen einer Euro-Dividende im Sinne von Philippe van Parijs’ Vorschlag wissenschaftlich untersucht. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse hat er in einem bisher unveröffentlichten Beitrag mit dem Titel: “The Revenue side of universal basic income in EU and EMU”, auf der Internationalen Konferenz: “UBI and Social Inequality”, Maribor, 20.03.2015 vorgetragen: Ein durchschnittliches monat-liches Sockeleinkommen von 139,- € in der EU – bzw. von 154,- € in der Eurozone – ließe sich generieren, wenn ein Betrag in der Größenordnung von 50% aller in der EU erhobenen indirekten Steuern in einem zentralen Budget zusammengeführt und dann wieder in Form einer Euro-Dividende gleichmäßig an alle Bürger der EU (bzw. der Eurozone) zurückverteilt würden.
Diese Beträge könnten an die unterschiedlichen Lebensstandards angepasst werden, so dass sich, wie auch Philippe van Parijs schätzt, ein Sockeleinkommen von ca. 200,- € in den reicheren Ländern und von ca.100,- € in den ärmsten Ländern ergäbe. Während die reicheren Länder in begrenztem Umfang zur Kasse gebeten würden – Deutschland, je nach zugrunde gelegter Annahme, für die Eurozone mit 0,44 %, bzw. für die EU mit
1,09 % des Bruttosozialprodukts – würden die ärmeren Länder von einer solchen europaweiten solidarischen Anstrengung erheblich profitieren.
Mencinger geht in seinem Beitrag nicht auf die Frage ein, inwieweit eventuell die positiven Effekte des Sockel-Grundeinkommens für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen aufgrund zwangsläufig erhöhter Preise zumindest teilweise wieder aufgehoben würden. Dieser Bumerang-Effekt würde jedoch, wie bereits angedeutet, in dem Maße wieder abgemildert, wie der Fiskus einerseits flexible Mehrwertsteuertarife einführen und andererseits für die Finanzierung der Euro-Dividende nicht nur auf eine europaweit harmonisierte Mehrwertsteuer, sondern auch auf die erwähnte neue Wertschöpfungs-steuer zurückgreifen würde:
1. Flexible Mehrwertsteuertarife
Bei flexiblen Mehrwertsteuertarifen (z.B.
Nulltarif für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen, hoher Tarif
für Luxusgüter) würden partiell unvermeidliche Preisanstiege für
einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zumutbar bleiben. Darüber hinaus
ist in Philippe van Parijs’ Vorschlag mitgedacht, dass jedes Land sein
bestehendes Sozial-system zunächst einmal beibehält. Das
Sockeleinkommen würde in diesem Sinne die Leistungen aus bisherigen
Sicherungssystemen ergänzen und tendenziell verbessern.
2. Ökosoziale Wertschöpfungssteuer
Das Prinzip der Steuer ist einfach: Statt wie
bisher ihre Gewinne durch Investitionen in umfangreiche Anschaffungen
oder Verschiebung in Steuerparadiese „kleinzurechnen“, müssten
Unternehmen im Sinne der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) eine positive
„Gemeinwohlbilanz“ vorweisen, um Steuerermäßigungen oder auch
Steuerfreiheit zu erlangen.
Der Steuerermäßigungsgrad ergäbe sich direkt aus der Punktezahl der
GWÖ-Bilanz. Solange – und wie wohl absehbar noch für längere Zeit – ein
Großteil der Unternehmen noch nicht die Voraussetzungen einer positiven
Gemeinwohlbilanz erfüllt, würden die Einnahmen aus der neuen
Wertschöpfungssteuer zur Finanzierung des Sockelgrund-einkommens
herangezogen. Der Vorschlag einer „Euro-Dividende“ besticht durch Einfachheit und absehbare Effizienz.
Aus Sicht des Europäischen Grundeinkommens-Netzwerkes UBIE dürfte die
Euro-Dividende, ohne bereits alle Erwartungen an ein Grundeinkommen zu
erfüllen, ein Schritt in die richtige Richtung sein; sie würde vor allem
den Menschen das Vertrauen in die europäischen Institutionen
zurückgeben. Auch diese Maßnahme könnte durch eine Europäische
Bürgerinitiative auf den Weg gebracht werden.
3. Stufe, längerfristig:
Ein Grundeinkommen für ein Leben in Würde und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen in Europa
Die Euro-Dividende würde die Menschen mit dem
Prinzip des Grundeinkommens vertraut machen. Zusätzlich würde neu
gewonnenes Vertrauen in europäische Institutionen gute Voraussetzungen
schaffen, um den Reformprozess fortzusetzen. Ob
dies auch bereits der optimale Zeitpunkt wäre, um ein europäisches
Referendum zur Einführung eines Grund-einkommens zu fordern, das
gesellschaftliche Teilhabe umfassend sichert, lässt sich noch nicht
überblicken. Das weltweite Grundeinkommens-Netzwerk B.I.E.N. (Basic
Income Earth Network) hat dafür folgende Mindestkriterien formuliert:
Individueller Rechtsanspruch, Universalität und Bedingungslosigkeit der
Zuwendung sowie deren ausreichende Höhe zur Gewährleistung eines Lebens
in Würde. Neben der Wertschöpfungs- und der Konsumsteuer (die an die
Stelle der Lohn- und Einkommensteuer treten würde), könnten spätestens
auf dieser Stufe auch weitere fiskalische Ressourcen wie Vermögenssteuer
oder Finanztransaktionssteuer, für die Finanzierung des Grundeinkommens
in Betracht gezogen werden.
Wertschöpfungs- und Konsumsteuer –
Argumente pro und contra
Ein berechtigter kritischer Einwand gegen den Vorschlag, Einkommenssteuern durch Konsumsteuern zu ersetzen, betrifft den Umstand, dass in den Unternehmensbilanzen außer Lohnsteuern und Lohnnebenkosten auch Steuern auf den Unternehmensgewinn (sog. Körperschaftssteuern) in erheblichem Umfang als „Kosten“ zu Buche schlagen. Würden mit der Abschaffung von „Einkommenssteuern“ im weitesten Sinn auch diese Steuern entfallen, würden nur die Unternehmen davon massiv profitieren. Andererseits gelingt es insbesondere großen Unternehmen gerade auch im aktuellen System, ihre Gewinne „kleinzu-rechnen“ oder auf andere Standorte zu verschieben, um die darauf in Deutschland erhobenen Steuern zu vermeiden.
Es gibt also auch aktuell keine Steuergerechtigkeit. Die Lösung des Dilemmas liegt in der bereits erwähnten Wertschöpfungssteuer. An die Stelle des für die Staatskasse – und damit das Gemeinwohl – fatalen „Kleinrechnens“ und « Verschiebens » von Gewinnen träte, ohne großen zusätzlichen Aufwand, mit der „Gemeinwohlbilanz“ ein effizientes, qualitatives, sozial-ökologisches Bonus-Malus-System im Dienste der Förderung nachhaltigen Wirtschaftens.
Wie bereits betont, würde eine solche Steuer ihre positive Lenkungswirkung nur unter der Voraussetzung einer konsequenten, zumindest europaweiten, am besten jedoch internationalen Reform der Unternehmensbesteuerung entfalten.
Bekanntlich ist die aktuelle Mehrwertsteuer, also die bekannteste bisherige Form der Besteuerung des Konsums, für viele Menschen ein rotes Tuch. Ihr Argument: Konsumsteuern träfen vor allem Menschen, die den größten Teil ihres Einkommens für Lebensnotwendiges ausgäben. Wenn der Staat Geld für Sozialleistungen brauche, solle er Vermögenssteuern wieder einführen oder Einkommensteuern erhöhen; damit beteilige er auch Reiche und Superreiche an der Finanzierung des Sozialstaats. Die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer würde zwar die Reichen treffen, das damit zu erzielende Steueraufkommen würde jedoch zur Finanzierung von umfassenden Sozialleistungen nicht ausreichen. Sie kommt deshalb bestenfalls als zwar willkommene, aber eben nur ergänzende Finanzierungsquelle in Frage.
Im aktuellen System werden in den Unternehmen
alle von den Mitarbeitern zu zahlenden Steuern wie auch die von den
Arbeitgebern abzuführenden Sozialabgaben, ggf. weitere Lohnnebenkosten,
als Unternehmenskosten in die Preise der Produkte einkalkuliert.
Nach
Umstellung auf eine entsprechend erhöhte Konsumsteuer würden all diese
Kosten-bestandteile wegfallen. Ob dies dann zu der erwarteten Senkung
der Netto-Preise führen wird, oder ob die steigende Konsumsteuer einen
Preisanstieg auslöst, ist in einer Marktwirtschaft zwar grundsätzlich
offen, weil abhängig von der Wettbewerbssituation und dem
Konsumentenverhalten in der jeweiligen Branche. Andererseits: Ein
Unternehmer, der sich der Marktlogik entzieht, riskiert auf seinen Waren
sitzen zu bleiben, denn es gilt zugleich: Die Konkurrenz schläft nicht!
Weitere Argumente zugunsten einer Besteuerung des Konsums statt von Einkommen
Folgende Vorteile der Konsumsteuer sind den meisten Menschen kaum bewusst:
– Förderung von kritischem Preisbewusstsein,
– Ein dadurch möglicher beträchtlicher Bürokratieabbau,
– Ein hohes Maß an Flexibilität bei Anpassung an sich ändernde Bedarfe,
– Reduzierter Druck auf den Faktor Arbeit,
– Eine damit verknüpfte konstruktivere Einstellung als Steuerzahler, (weniger „schlaue Steuerfüchse“,mehr kritische, mündige Bürger“),
– Wirtschaft im Dienste des Menschen, nicht umgekehrt.
Die Förderung von kritischem Preisbewusstsein
zählt dabei zu den augenfälligsten Vorteilen, werden die Menschen
doch schon jetzt bei der Mehrwertsteuer, also der bereits existierenden
Form der Konsumbesteuerung, mit jedem Kassenbon und jeder Rechnung –
abgesehen vom genauen Zahlbetrag – auch mit Höhe und Tarif der
anfallenden steuerlichen Belastung konfrontiert.
Bezüglich des möglichen Bürokratieabbaus
genügt es, an die Komplexität einer
Einkommensteuererklärung zu denken, um zu begreifen, welches Ausmaß an
Verwaltungsvereinfachung mit einem Verzicht auf die an die Erwerbsarbeit
geknüpften Steuern und Abgaben verbunden wäre.
Auch die größere Flexibilität
von Konsumsteuern bei sich ändernden Bedarfen
leuchtet unmittelbar ein, bedarf es doch lediglich eines Beschlusses zur
Änderung des Steuersatzes, um die Steuer unterschiedlichen
Erfordernissen anzupassen.
Solche Flexibilität schließt zwar auch das
Risiko eines Missbrauchs durch die Politik ein.
Bei verantwortlicher
Handhabung erweist sich solche Flexibilität freilich als großer Vorteil,
etwa zugunsten einer passgenauen Förderung von Herstellung und Vertrieb
nachhaltiger Produkte.
Reduzierter Druck auf den Faktor Arbeit
ist schließlich einer der wichtigsten, obwohl den
Menschen kaum bewussten Vorzüge der Besteuerung des Konsums gegenüber
der Besteuerung jeder Art von erwerbsabhängigen Einkommen. In der Tat
führt die Besteuerung der Erträge aus lohnabhängiger Arbeit dazu, dass
die Unternehmen alle nur erdenklichen Wege und Schleichwege „legaler
Steuerflucht“ ausschöpfen, um kostenintensive Vollzeitbeschäftigung
einzusparen (z.B. mittels Rationalisierung, Standortverlagerung in
Billiglohnländer!).
Das heizt zugleich den Druck auf den Faktor
Arbeit – und damit den Wachstumswahn – ständig weiter an. Mit der
Konsumsteuer gäbe es dagegen weniger Druck und keine zusätzlichen
Anreize dafür, um jeden Preis Arbeitsplätze einzusparen.
Konstruktivere Einstellung der Steuerzahler
An Stelle der genannten „Steuervermeidungsstrategien“
würden sowohl die Konsumsteuer als auch die Wertschöpfungssteuer eine
eher kritisch-konstruktive Einstellung als Steuerzahler fördern. Die
Menschen würden weniger dazu gedrängt, sich als “schlaue Steuerfüchse” zu profilieren, vielleicht sogar eher daran Gefallen finden, sich als “kritisch-konstruktive Bürgerinnen und Bürger” zu erweisen.
Wirtschaft im Dienst von Menschen, nicht umgekehrt
In Wirklichkeit geht es freilich noch um mehr, nämlich um die Frage, ob die Produktion von Gütern und Dienstleistungen künftig im Dienste der Menschen oder ob die Menschen im Dienst der – zunehmend maschinellen – Produktion stehen sollen. Eine Reform aber, die sich den Menschen verpflichtet weiß – das legen alle hier vorgetragenen Überlegungen nahe – sollte für eine stringente, an klaren Kriterien orientierte Besteuerung der Wert-schöpfung von Anfang an, als auch für eine Besteuerung des Endkonsums sorgen.
Die Konsequenz wäre:
– Armut würde dank eines somit mittelfristig gewährleisteten „Garantierten Grundein-kommens“ (bzw. auch
schon dank eines „Sockelgrundeinkommens“) abgeschafft,
– Praktiken legaler Steuerflucht würden eingedämmt,
– Kontraproduktive Neid-Debatten und unproduktive Konkurrenz zwischen EU-Ländern würden allmählich
ihre Berechtigung verlieren,
– Kooperation, Solidarität und soziale Gerechtigkeit würden dagegen an Bedeutung gewinnen.
Die Reform wäre damit ein Schlüsselbeitrag zur Bewältigung der Krise in Europa.