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Vernetzung in europa
Ein soziales Europa? Es bleibt noch vieles zu tun …

Interview mit dem Hamburger Netzwerk Grundeinkommen, vertreten durch die Vorstandsmitglieder Otto Lüdemann und Rainer Ammermann in den Kulturpolitischen Mitteilungen (Ausgabe Nr. 178, III/2022)

KuMi: »In Europa haben wir die gerechtesten Gesellschaften der Welt, die höchsten Standards bei den Arbeitsbedingungen und den breitesten Sozialschutz« – so beschreibt die Europäische Kommission die soziale Lage in der EU im Vergleich mit anderen Weltregionen.
Es gibt seit dem Göteborger Gipfel 2017 die europäische Säule sozialer Rechte, in einer Strategischen Agenda für 2019 – 2024 wird eine »Richtschnur für ein starkes soziales Europa des 21. Jahrhunderts, das gerecht und inklusiv ist und Chancen für alle bietet« für die Mitgliedstaaten ausgebreitet. Gleichzeitig sind die Kompetenzen der EU in der Sozialpolitik beschränkt; sie kann die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen nur unterstützen und ergänzen. So hat die Europäische
Kommission im Oktober 2020 dem Rat und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU vorgelegt.
Vor dem Hintergrund dieser Lage der »Sozialen Säule« der EU – wo sehen Sie die aktuellen Herausforderungen?

Im Weltmaßstab betrachtet mag die EU als vergleichsweise sozial gerecht erscheinen. Das macht jedoch nicht die massiven Defizite bei ihren sozialpolitischen Kompetenzen wett, führen die doch zu einem erheblichen Gefälle des Lebensstandards innerhalb der EU. Entscheidend ist, dass der europäischen
Exekutive die gesetzlichen Grundlagen und die Mittel fehlen, eine echte Sozialpolitik überhaupt zu konzipieren und konsequent durchzusetzen. Inhaltlich müsste eine alternative EU-Sozialpolitik
eine Doppelstrategie verfolgen:

  1. Auf der ökonomischen Ebene müsste sie möglichst nachhaltig den durch aktuelle Krisen aufgewor-
    fenen Herausforderungen gerecht werden. Ansätze, die wie das vom Wirtschafts- und Sozialausschuss des EU-Parlaments ausdrücklich begrüßte Konzept der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) oder anderer vergleichbarer Bewegungen (etwa Donut- und Postwachstumsökono-
    mie, MMT) können dafür eine Leit-Orientierung bieten.
  2. Auf der sozialpolitischen Ebene müsste sie statt bloßer Vermeidung extremer Armut vor allem allen EU-Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, um daraus ein »gutes« Leben werden zu lassen. Das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) gemäß den dafür weltweit anerkannten Kriterien (d.h. anders als manche Konzernlenker
    es gerne sähen) bietet dafür eine Orientierung.

KuMi: Ihr Bündnis hat ja eine Europäische Bürgerinitiative »Bedingungsloses Grundeinkommen in der gesamten EU« unterstützt. Wie könnte dies Ihrer Meinung nach in den europäischen Staaten soziale Ungleichheiten verringern? Und: Weshalb wurde ihrer Meinung nach das Quorum verfehlt?

Bei der erwähnten Initiative ging es nicht um das Ziel »soziale Gleichstellung«, was u.E. weder ein realistisches noch ein wünschenswertes Ziel wäre. Eher schon um Chancengleichheit bzw. überhaupt erstmal um die Chance, verfassungsmäßig garantierte, demokratische Grundrechte in Anspruch zu
nehmen und auszuüben. Etwa in Fällen extremer Armut ist dies nämlich z.Zt. keineswegs gewährleistet.

Allerdings beschränken sich unsere Erwartungen an ein BGE nicht auf dieses fundamentale Recht und Ziel. Vielmehr gehen wir davon aus, dass ein BGE für viele Menschen produktive Impulse zur »Selbstermächtigung« und »Selbstbestimmung« ihres eigenen individuellen Lebens, aber auch für vorher nicht mögliche Initiativen in Gruppen und Institutionen sowie in der Gesellschaft insgesamt auslösen würde. Ein europaweites BGE wäre in diesem umfassenden Sinn ein entscheidender »Kulturimpuls«.

Die Frage nach den Gründen für das Verfehlen des Quorums von 1 Million Unterstützungsbekundungen lässt sich schwerlich eindeutig beantworten. Einerseits haben die Pandemie und weitere hinzugekommene Krisen den Menschen die Dringlichkeit einer dauerhaften sozialen Absicherung massiv vor Augen geführt. Der Staat hätte also immense Bürokratiekosten eingespart, hätte es zu Beginn der Pandemie bereits ein BGE gegeben. Eine breite Unterstüt zung der EBI hätte somit nahegelegen.
Andrerseits bleiben Vermutungen, weshalb die Menschen sich in diesen Pandemiezeiten trotzdem damit schwertaten, zwangsläufig vage und spekulativ.
Wurde die Initiative medial nicht optimal vermittelt? War die Bevölkerung mit so viel Krisen schlicht überfordert? Gab es noch andere Gründe? Wir werden es vermutlich nicht erfahren.

KuMi: Trotz des Scheiterns der Europäischen Bürgerinitiative gibt es ja weiter ein großes Interesse an dem Thema. So hat das Bedingungslose Grundeinkommen Eingang in die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas gefunden: »The most recurring sub-theme, with several ideas being highly endorsed and
commented on, concerns the unconditional basic income to ensure the ability of each person to participate in society«. Wie wird es hier Ihrer Erwartung nach weitergehen?

Die »Konferenz zur Zukunft Europas« ist mit den vorliegenden Empfehlungen noch nicht zu einem definitiven Abschluss gekommen. Die Empfehlungen werden vielmehr auf unterschiedlichen
Ebenen und in unterschiedlichen Gremien weiter zu behandeln sein.
Auch ein Verfassungskonvent mit der Möglichkeit, Vertragsänderungen zu erreichen, ist möglich. Wir werden diese Entwicklung aufmerksam verfolgen und uns im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter einbringen. Das von uns vorbereitete Ausstellungsprojekt zum Thema Grundeinkommen, zusammen
mit den in seinem Rahmen möglichen Veranstaltungen, sehen wir als Chance, das Thema wie die damit verknüpften Herausforderungen im öffentlichen Bewusstsein präsent zu halten.

KuMi: Im Februar haben Sie sich um eine Förderung im EU-Programm CERV beworben. Gibt es schon eine Rückmeldung zu Ihrem Antrag? Welche Ideen sollen mit Ihrem Projekt verwirklicht werden?

Die erfolgte Rückmeldung zu unserem Antrag besagt, dass wir zwar nicht sofort eine Zusage erhalten haben, dass unser Projekt aber auf einer Reserveliste die Chance erhalten wird, im Rahmen eventuell verfügbarer finanzieller Ressourcen gegen Ende des Jahres doch noch berücksichtigt zu werden.
Wie schon angedeutet, möchten wir mit der Ausstellung »Mensch, Grundeinkommen!« eine offene Informations- und Diskussionsplattform schaffen, welche die Idee des BGE zu den Menschen bringt. Sie selbst sollen sich ein Bild machen und entscheiden, ob sie sich in dieser Idee wiederfinden.

Wir danken für das Gespräch!

Das Interview führte Jochen Butt-Pośnik, Kontaktstelle CERV.

Das Dokument gibt es >> hier zum Download.

Spielzeugköpfe
Das finnische Experiment mit einer Art “Grundeinkommen”

Für die Stiftung Grundeinkommen hat die Wirtschaftsjournalistin Lea Hampel ein Interview mit dem wissenschaftlichen Programmleiter des finnischen Experiments – Olavi E. Kangas – geführt.

“Es war eines der meist beachteten Experimente zum Grundeinkommen der vergangenen Jahrzehnte: Zwei Jahre lang erhielten in Finnland 2000 arbeitslose Menschen jeweils 560 Euro im Monat. Zuverdienste wurden, anders als sonst üblich, nicht von den Leistungen abgezogen. Nun wurden die finalen Ergebnisse des laut Forschungsgruppe „weltweit ersten gesetzlich vorgeschriebenen, landesweiten und randomisierten“ Grundeinkommen-Experiments vorgestellt. Demnach waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie zufriedener mit ihrem Leben und weniger gestresst als die Kontrollgruppe. Sie hatten außerdem eine positivere Sicht auf ihren eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Perspektiven. Auch fanden sie zumindest während einer Phase des Experiments etwas leichter in Arbeit als die Kontrollgruppe, doch die Beschäftigungseffekte waren nur gering ausgeprägt.

Damit decken sich die finalen Ergebnisse weitgehend mit den ersten Einschätzungen von 2019, dass die Menschen während des Experiments glücklicher waren, aber durch die bedingungslosen Zahlungen weder leichter noch schwerer in Arbeit kamen. Programmleiter Olavi E. Kangas erklärt, wie die Studienergebnisse einzuordnen sind – und warum er sich für noch mehr Experimente ausspricht.”

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Wasserspender
Eine verbreitete „Milchmädchenrechnung“ unter grundeinkommenskritischen Ökonomen in Deutschland

Autor: Dr. Manuel Franzmann

Die Frage der Finanzierbarkeit gehört zu den notorischen Fragen der Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ich weise schon seit langem immer wieder darauf hin, dass bei dieser Finanzierungsdiskussion zwischen einer statischen und einer dynamischen Betrachtungsweise klar unterschieden werden sollte. Eine statische Betrachtungsweise beruht auf der letztlich unrealistischen Abstraktion von dynamischen Effekten der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Aber sie ist dennoch sinnvoll und notwendig, ja Ausdruck einer wissenschaftlichen Denkweise, für die es wichtig ist, systematisch vorzugehen, und dazu gehört, zeitweise von bestimmten Einflussgrößen abstrahierend abzusehen, um eine erste Klärung in einer wichtigen Teilfrage erreichen zu können. So ist es auch bei einer statischen Betrachtung der Finanzierungsfrage des bedingungslosen Grundeinkommens.

Bei ihr wird insbesondere von möglichen Verhaltensänderungen bei den Bürgerinnen und Bürgern abgesehen, Verhaltensänderungen, die durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens mit bedingt sind. Ein Beispiel wäre hier eine denkbare Verringerung der Arbeitsbereitschaft bzw. des individuellen Erwerbsarbeitsvolumens. Bei einer statischen Betrachtungsweise werden solche Effekte einstweilen ausgeklammert und erst einmal nur danach geschaut, ob eine Form der Finanzierung denkbar ist, welche die derzeit vorhandenen Finanzmittel so umschichtet, dass dadurch das bedingungslose Grundeinkommen auf eine vernünftig erscheinende Weise finanzierbar erscheint.

Nun machen es sich nicht wenige Grundeinkommenskritiker seit langem schon sehr einfach, indem sie in der Finanzierungsfrage eine simple Rechnung vorführen, die angeblich zeigt, dass eine Finanzierung weit jenseits des Möglichen lieg. Und bemerkenswert oft wird diese Rechnung auch von namhaften, grundeinkommenskritischen Ökonomen aufgemacht, darunter vor Jahren auch Hans-Werner Sinn in einer Fernsehtalkshow. Hans-Werner Sinn ist dabei jener Ökonom, auf den sich das obige Zitat „Milchmädchenrechnung“ bezieht, denn Sinn hat als ein sich öffentlich äußernder Ökonom diesen Ausdruck öfters rhetorisch dazu eingesetzt, um sich gegenüber Nicht-Ökonomen mit seiner wissenschaftlichen Autorität Geltung zu verschaffen.

Die besagte simple Rechnung lautet sinngemäß wie folgt. Geht man von einer monatlichen Grundeinkommenszahlung in Höhe von 1.000 Euro aus und multipliziert sie mal 12 Monaten, um den Jahresbetrag zu ermitteln, und multipliziert sie dann mit ca. 80 Millionen deutschen Staatsbürgern, dann ist das Ergebnis:

1.000 € monatlich × 12 Monate × 80 Millionen Deutsche = 960 Milliarden € 

Bei diesem Betrag handelt es sich um den nominellen Gesamtbetrag, der bei einer monatlichen Grundeinkommenszahlung von 1.000 Euro in Deutschland auf das Jahr gesehen derzeit in etwa zu finanzieren wäre. Dieser gigantisch klingende Betrag wird dann im nächsten Schritt mit der Höhe des Sozialbudgets oder des Bundeshaushalts verglichen.

Sozialbudget: Die Bundesregierung berichtet jährlich unter der Überschrift „Sozialbudget“ darüber, wie viel Geld der deutsche Staat für die Soziale Sicherung ausgibt, und zwar Bund, Länder und Gemeinden zusammen. Nach den Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales waren dies im Jahr 2017: 965,5 Mrd. Euro
Bundeshaushalt: Der Bundeshaushalt betrug nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums im selben Jahr 2017: 329,1 Mrd. Euro
Und daraus ziehen dann selbst einige grundeinkommenskritische Ökonomen, die mit solchen Zahlen umgehen können sollten, den simplen Schluss, dass sich eine weitere Diskussion und ein weiteres Nachdenken erübrigt, weil schon dieser einfache Vergleich der Höhe des Sozialbudgets oder des Bundeshaushalts angeblich zeige, wie weit entfernt die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in einer zum würdigen Leben ausreichenden Höhe von den realen Finanzierungsmöglichkeiten entfernt ist.

Jedoch wird dabei ein simpler gedanklicher Fehler begangen, sofern es sich nicht um eine motivierte argumentative Nebelkerze handelt, wie sie in der Grundeinkommensdiskussion nicht zuletzt vor dem Hintergrund ausgeprägter kultureller Abwehrformationen auffällig oft vorkommt. Es wird nämlich einfach davon ausgegangen und unterstellt, dass der nominelle jährliche Finanzierungsbetrag eines BGEs im Wesentlichen aus solchen staatlichen Budgets, insbesondere aus dem Sozialbudget oder dem Bundeshaushalt, unmittelbar zu finanzieren wäre und dass die dort vorhandenen Mittel umgewidmet werden müssten zulasten bisheriger Ausgabenposten. Und das ist nachweislich falsch.

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