Autor: Harald Kother
Bereits der Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe
Erich Fromm forderte ein bedingungsloses Grundeinkommen. Beim Festival
der GESPRÄCHE ÜBER MORGEN am 15.10. in Hamburg erläuterte Klaus
Widerström, Vorstandsmitglied der Internationalen
Erich-Fromm-Gesellschaft, aus welchen Gründen Fromm das BGE für
notwendig hielt – und was Fromm an unserem Gesellschaftssystem als krank
empfand.
1955 veröffentlichte Erich Fromm sein Werk „Wege aus einer kranken
Gesellschaft“. Darin konstatierte er unserem kapitalistischen
Gesellschaftssystem, dass es Glück und Freiheit im wesentlichen auf den
Gedanken reduziere, immer neuere und bessere Waren konsumieren zu
können. Außerdem werde in unserem Wirtschaftssystem alles nach Maßstäben
des Marktes bewertet. Auch der Mensch erlebe sich dadurch permanent als
Ware – oder als Verkäufer seiner selbst.
Fromm bezeichnet dies als Marketing-Orientierung und erkennt darin den
Hauptgrund für eine Entfremdung von sich selbst, die wiederum seelische
bzw. psychische Probleme und Erkrankungen nach sich ziehe. Der Mensch
ist dadurch zum Objekt blinder ökonomischer Kräfte geworden, die sein
Leben regieren. Der Mensch enteignet sich dadurch selbst – und wir leben
in einer Gesellschaft, die es in Kauf nimmt, kranke Menschen zu
produzieren, weil wir so eine gesunde Wirtschaft haben können. Letztlich
haben sich die Menschen somit eine unmenschliche Gesellschaft
geschaffen.
Wie der Gesellschaftscharakter eine unmenschliche Gesellschaft formt
Um die dahinter wirkenden Mechanismen verstehen zu können, ist es
notwendig, auf den Begriff des Gesellschaftscharakters einzugehen, den
Fromm einführte. Demnach ergibt sich der Gesellschaftscharakter aus der
Summe der für eine Gesellschaft typischen Charakterzüge. Diese Summe
bestimmt das Denken, Fühlen und Handeln des Einzelnen. Nur so lässt sich
erklären, dass viele Menschen etwas als „gut“ oder „normal“ empfinden,
was ihnen eigentlich schadet.
Fromm fordert daher ein radikales Umdenken und eine Abkehr von der
Marketing-Orientierung. Er setzt den Menschen über den Markt und die
Ökonomie, spitzt die damit verbundene Gegensätzlichkeit zu und stellt
die Frage: „Haben oder sein“. In dem gleichnamigen Werk, das 1976
erschien, fordert Fromm insbesondere, dass die Produktion der Erfüllung
der wahren Bedürfnisse des Menschen dienen soll – und nicht den
Erfordernissen der Wirtschaft. Außerdem sei das oberste Ziele des
gesellschaftlichen Arrangements das menschliche Wohlsein und die
Verhinderung menschlichen Leids. Beides, so analysiert Fromm, ist in
unserem gegenwärtigen Gesellschaftssystem nicht gegeben.
Grundeinkommen ermöglicht Wandel des Gesellschaftscharakters
Damit sich der Gesellschaftscharakter ändern kann, also ein Umdenken
bei vielen Menschen möglich wird und insbesondere die Abkehr von der
Marketing-Orientierung gelingt, forderte Fromm bereits 1955 in „Wege aus
einer Kranken Gesellschaft“ die Einführung eines Grundeinkommens. In
„Haben oder Sein“, also 1976, wiederholte er diese Forderung. Zwar legte
sich Fromm dabei nicht fest, ob es sich um eine kostenlose
Grundversorgung mit materiellen Gütern oder um einen regelmäßigen
Geldbetrag handeln solle. Allerdings betonte Fromm ausdrücklich, dass
jeder Mensch das Recht zu leben habe und dieses Recht in keiner Hinsicht
eingeschränkt werden dürfe. Zudem lässt sich Freiheit nur durch ein
garantiertes Grundeinkommen als echte Unabhängigkeit umsetzen – und
nicht nur als unbegrenzte Möglichkeiten beim Konsum.
Widerström stellte in diesem Zusammenhang daher klar: Ein Grundeinkommen
nach Fromm’scher Idee kann somit nur als Bedingungsloses Grundeinkommen
gedacht werden. Und Widerström zeigte mit seinem Vortrag: Erich Fromm
war nicht nur einer der ersten großen Impulsgeber für das Bedingungslose
Grundeinkommen. Fromm lieferte zudem eine ausführliche und fundierte
Begründung, warum das BGE aus psychoanalytischer und
sozialpsychologischer Sicht ein wichtiger Beitrag – wenn nicht ein
notwendiger – zur Verwirklichung einer menschlicheren Gesellschaft ist.