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Titelbild Grundeinkommen braucht Europa
Grundeinkommen braucht Europa – Europa braucht Grundeinkommen

“Ohne eine Strategie des Ausgleichs zwischen reicheren und ärmeren Mitgliedsstaaten ist der soziale Zusammenhalt in der Europäischen Union gefährdet. Hier allein auf eine Angleichung der Wirtschaftskraft zu setzen, wird nicht funktionieren. Die EU braucht eine soziale Säule, um die Disparitäten bei der ökonomischen Leistungsfähigkeit ansatzweise auszugleichen. Die Einführung eines Grundeinkommens könnte diese Säule sein: als eine solidarische, möglichst unbürokratische Existenzsicherung für alle Europäerinnen und Europäer. Der 2013 von Philippe Van Parijs eingebrachte Vorschlag einer Euro-Dividende bildet den Startpunkt für diesen Debattenband.” (Aus dem Klappentext des Buches)

Das Buch ist Ende 2013 mit dem oben genannten Titel in der Reihe “Studien des Freiburger Instituts für Grundeinkommensstudien (FRIBIS) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg” erschienen (Herausgeber Prof. Dr. Bernhard Neumärker, Otto Lüdemann, Ulrich Schachtschneider).
Beteiligte Autoren und Autorinnen sind Otto Lüdemann, Philippe Van Parijs, Dominic Afscharian, Francois Denuit, Leire Rincón García, Alexander de Roo, Ronald Blaschke, Michael Opielka, Sabrina Apicella, Helmut Hildebrand, Dagmar Comtesse, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Vladan Lausevic, Tanarro Colodrón und Ulrich Schachtschneider.

Otto Lüdemann war als Erziehungswissenschaftler an der HAW Hamburg Inhaber des Europa-Lehrstuhls Jean Monnet für Europäische Interkulturelle Studien. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft, im Hamburger Netzwerk Grundeinkommen und im Europäischen Netzwerk Grundeinkommen.

Bernhard Neumärker ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Direktor der dortigen Götz Werner Professur und Leiter des FRIBIS.

Ulrich Schachtschneider ist Mitglied des FRIBIS-Teams UBITrans (Unconditional Basic Income and Social-Ecological Transformation) und Member of Board von UBIE (Unconditional Basic Income Europe).

Das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS) ist ein interdisziplinärer Kompetenzverbund zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen. Wissenschaftler aus Volkswirtschaft, Psychologie, Theologie, Ethnologie, Informatik und Erziehungswissenschaften sowie politische Aktivistinnen und Aktivisten forschen und debattieren in multithematischen Teams.

Wo kann ich das Buch bestellen?

Das Buch gibt es beim Hamburger Netzwerk Grundeinkommen gegen eine Spende von 11,60 € (inkl. Versandkosten). Bei Interesse bitte >> hier Kontakt aufnehmen.

Und es kann direkt beim LIT-Verlag als Print oder Ebook bestellt werden: >> zur Bestellung

the only time is now
ROBOTOPIA – Sollen wir Arbeit neu denken?
Eingangs-Statement zu grundsätzlichen, ggf. derzeit auch utopisch erscheinenden Thesen:  

Angesichts einer globalen Digitalisierung müssten neue Konzepte von Arbeit eigentlich am besten auch gleich in einem globalen Rahmen diskutiert werden. Um realistisch zu bleiben, sollte es aber zumindest ein europäischer Rahmen sein, der dann bezüglich seiner politischen und ökonomischen Ausgestaltung grundlegend zu reformieren wäre.
Der Grund:  Das Konzept von Arbeit, und damit auch der Arbeitsalltag der Menschen, hängt entscheidend von solchen Rahmenbedingungen ab. Fremdbestimmte Erwerbsarbeit und selbstbestimmte freiwillige Arbeit sollten im Rahmen eines solchen europaweiten gemeinsamen Konzeptes von Arbeit gleichermaßen wertgeschätzt und entlohnt werden. Konkret heißt das: An Stelle des Scherbenhaufens einer seit Jahrzehnten fehlgeleiteten, auf Konkurrenz und Gewinnmaximierung basierenden, neoliberalen EU-Politik, bedarf es eines Europa, das auf ein solides gemeinsames, menschen- statt bankenfreundlich konzipiertes Finanz-, Steuer und Sozialsystem gegründet und wirklich demokratisch organisiert ist. Leitbild sollten eine konsequent nachhaltige, solidarische sowie gemeinwohlorientierte Organisation der ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen sein. Optimale Voraussetzungen einer Entwicklung in diese Richtung wären Schritte zur Vorbereitung

  • einer Geld- und Bankenreform,
  • eines europäischen Verfassungskonventes
  • einer konsequenten ökologischen Orientierung der Ökonomie an den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie,
  • und die Einführung eines als Kulturimpuls verstandenen bedingungs-losen Grundeinkommens.
Kurz- und mittelfristige Überlegungen

Vielleicht wird die fortschreitende Digitalisierung in Industrie und Wirtschaft wegen der daraus resultierenden massiven Arbeitsplatz-verluste schon eher als bisher gedacht die Einführung eines Grund-einkommens erzwingen oder zumindest erleichtern. In diesem Fall kommt es darauf an, das BGE nicht ausschließlich als probates Mittel zur Armutsbekämpfung oder zur Behebung von arbeitsmarkt-spezifischen Kollateralschäden zu begreifen, – obwohl es auch dazu seinen Beitrag leisten würde -, sondern in erster Linie gemäß seinem eigenständigen Sinn und Wert als Kulturimpuls. Das bedeutet, dass die bekannten Grundkriterien des BGE (also ein sowohl allgemeiner als auch individueller Rechtsanspruch darauf, die Bedingungslosigkeit der Gewährung, eine ausreichende Höhe für angemessene gesellschaft-liche Teilhabe) nicht aufgeweicht werden dürfen. Im Kontext der Frage nach der Zukunft der Arbeit folgt daraus, dass ein BGE nicht Erwerbsarbeit ersetzt, sondern im Regelfall selbstbestimmte (Teilzeit)-Arbeit ermöglicht.

Das Risiko einer „Pervertierung“ des BGE durch Aufweichung seiner Grundkriterien wäre –  gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt – dort besonders hoch, wo etwa große Konzerne unter dem Vorwand von Kosten- oder Wettbewerbsdruck versuchen könnten, das BGE als Mittel zum Lohndumping oder auch von vornherein als „Kombilohn“ zu missbrauchen. Dieses Risiko ergibt sich vor allem an Standorten von großen Konzernen (Beispiele: VW in Wolfsburg, Bayer in Leverkusen) wo die Beschäftigten – selbst mit einem BGE – aufgrund der Monopolstellung solcher Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt kaum über Verhand-lungsmacht verfügen und  insofern auf  deren Jobangebote angewiesen sind. Auch nach Einführung eines BGE sollte deshalb auf jeden Fall der gesetzliche Anspruch auf Mindestlohn weiter gelten, um so möglichst prekäre Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse  auszuschließen.

„Denkraum Arbeit“ http://denkraumarbeit.de, eine Initiative des Progressiven Zentrums  und der Friedrich Ebert-Stiftung, hat unter dem Namen „Gesellschaftsvertrag Solidarische Flexibilität“ grundsätzlich durchaus diskussionswürdige Vorschläge für ein individuelles Teilzeit-arbeits-Wahlrecht  oder auch eines Bonus-Malus-Systems bezüglich der Arbeitsbedingungen von Unternehmen gemacht.
Ein zeitlich begrenztes „Teilzeit-Wahlrecht“, das – wie es dort heißt – über einen „aktiven Staat“ finanziert würde, stellt ja im Grunde nichts Anderes als ein punktuelles und partielles Grundeinkommen dar, allerdings mit einem entscheidenden Manko: Einzelnen erwachsenen Bürgern wird nach diesem Modell – im Unterschied zu einem BGE – auch weiterhin generell nicht zugetraut, ihr Leben ohne Kontrolle oder Zwang zu Gegenleistungen wirklich selbst in die Hand zu nehmen.

Das Konzept eines Bonus-Malus-Systems bei vorbildlichen, bzw. problematischen Arbeitsbedingungen ist seinerseits eine originäre Idee der Gemeinwohlökonomie. Dort sind die Arbeitsbedingungen allerdings nur ein Element in einer ganzen Reihe von Parametern einer um-fassenden „Gemeinwohlbilanz“, zu der beteiligte Unternehmen sich freiwillig verpflichten. Wenn die Autoren von „Denkraum Arbeit“ sich ernsthaft für eine Gemeinwohlorientierung der Ökonomie engagieren wollen,dann sollten sie deshalb gleich eine solche Gemeinwohlbilanz in ihre Überlegungen einbeziehen. Die wurde übrigens bereits 2015 hochoffiziell vom Wirtschafts- und Sozialausschuss des europäischen Parlaments gelobt und mehrheitlich ausdrücklich als wegweisendes Konzept empfohlen.

Trotz einer Reihe von zu bedenkenden Risiken erscheint inzwischen in zahlreichen dafür geeigneten gesellschaftlichen Bereichen eine zeitnahe Digitalisierung und Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen plausibel und auch durchaus wünschenswert. Wird es aber gleichzeitig  –  möglichst damit verknüpft – Maßnahmen zur Entschleunigung und Begrenzung von ökonomischem Wachstum geben? Zu wünschen wäre dies, ist aber bisher nicht absehbar.

Leider ist eben davon auszugehen, dass die Wirtschaft nicht freiwillig zu solchen Maßnahmen bereit sein wird, zumal derzeit die Finanzmärkte Milliardensummen in die Digitalisierung investieren und dafür ent-sprechende Renditen erwarten.  Zu erwarten ist deshalb eher, dass der Konkurrenzdruck und das Bestreben nach Gewinnmaximierung noch weiter steigen. Ein probates Mittel, um diesen Tendenzen zu begegnen, könnten lohnende Steuersparanreize sein, etwa in Form von finanziellen Vorteilen oder Erstattungen bei der Körperschaftssteuer für Unternehmen, die bereit wären, auf Gewinnmaximierungsstrategien zu verzichten, bzw. sich einer Gemeinwohlbilanz zu unterziehen. Zahlreiche Beispiele aus der bereits existierenden Praxis der Gemeinwohlökonomie zeigen: Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die sich von solchen Vorteilen überzeugen lassen, können derartige Anreize durchaus greifen. Größere oder gar multinationale Konzerne mit großer Marktreichweite lassen sich dadurch allerdings bisher kaum beeindrucken. Gerade darauf käme es freilich an, wenn das Ziel eine nachhaltige und solidarische Gesellschaft in Europa sein soll[1].

– Ethisch wie ökonomisch und ökologisch fragwürdige Großprojekte von Großkonzernen,  wie z.B. die Entwicklung selbstfahrender Autos, die Durchsetzung menschenverachtender Marktstrategien mittels  Standort-verlagerung in Billiglohnländer oder auch ein die Demokratie unter-wandernder systematischer Lobbyismus lassen sich vermutlich nur durch entschlossene gesetzgeberische Maßnahmen ausbremsen, die das aktuelle System insgesamt in Frage stellen. Leider scheint dazu bisher der politische Wille weitgehend zu fehlen. Die  Einführung eines BGE in Verbindung mit mehr Gemeinwohlorientierung könnte gleichwohl im öffentlichen Bewusstsein immerhin einen allmählichen Stimmungs-umschwung in Richtung von mehr Erfahrung realer Solidarität und verantwortlicher demokratischer Teilhabe einleiten.

Paradoxerweise stehen die Chancen für eine Einführung des BGE in diesem Sinn auf europäischer Ebene vielleicht sogar besser als in einem nur nationalstaatlichen Rahmen. Diese gewagte These bedarf näherer Begründung. Auf den ersten Blick spricht angesichts des drohenden Zerfalls der EU ja eher alles gegen ein solches Szenario. Nach dem Motto „Zukunft entsteht aus Krise“ ist es aber nicht abwegig, genau darin eine Chance zu sehen. Im Grunde ist die aktuelle Situation nämlich durchaus vergleichbar mit der nach dem 2.Weltkrieg. Damals wie heute standen bzw. stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Zum Glück besteht der heute nicht aus Kriegstrümmern, sondern „nur“ aus einer fehlgeleiteten, letztlich gescheiterten EU-Politik. Die Herausforderung aber ist vergleichbar.  Sie lautet:  Europa neu denken !

Die Politologin Ulrike Guérot hat sich mit ihrem lesenswerten Buch „Warum Europa eine Republik werden muss – eine politische Utopie“ dieser Herausforderung gestellt. Mehr Gemeinwohlorientierung ist eine wesentliche Grundlage ihres Konzeptes einer postnationalen euro-päischen Republik. Auf Nachfrage hat sie ausdrücklich bestätigt, dass sie auch ein BGE ausdrücklich als eine innovative, an ihr Konzept anschlussfähige Idee betrachtet.

Wer den Begriff der Arbeit von der Idee des Grundeinkommens her denkt, begreift, dass sein Einkommen, und damit sein Auskommen, nicht länger von einer Erwerbsarbeit abhängt. Er kann also in seinem Kopf Arbeit und Einkommen als Grundlagen der Existenzsicherung von-einander trennen. Noch wichtiger ist die Konsequenz daraus, nämlich die, dass er die Arbeit, die nicht Erwerbsarbeit ist, – z.B. Hausarbeit, Pflegearbeit, freiwillige Arbeit, ehrenamtliche Arbeit….in einem Wort: jede wirklich selbstbestimmte Arbeit – umso mehr schätzen kann. Solche Steigerung der Wertschätzung von selbstbestimmter Arbeit macht den Sinn und Wert eines BGE aus, denn es zeigt sich darin: Es ist menschenfreundlich, es dient dem guten Leben, – mit Erich Fromm gesprochen – es drückt die Liebe zum Leben aus.

Das Risiko in einem weitgehend durch Digitalisierung bestimmten Arbeitsalltag liegt darin, dass die Menschen zunehmend zu Sklaven einer von Maschinen bestimmten Welt werden. Dieses Risiko kann In dem Maße minimiert werden, wie sie sich dank eines BGE die Souveränität über ihr Leben zurückholen. Die Gemeinwohlökonomie kann ihrerseits dafür sorgen, dass entsprechende Risiken von vornherein ausgeschaltet oder zumindest reduziert werden, indem diese bei den Parametern der Gemeinwohlbilanz berücksichtigt werden.

Abschluss-Statement

 Für die Bewertung der Arbeit in einer zunehmend global vernetzten und digitalisierten Welt ist insoweit der entscheidende, allem anderen übergeordnete Maßstab die Frage:  Wie menschenfreundlich – oder wie menschenfeindlich erleben die Menschen die Arbeit?  Dient sie der Liebe zum Leben oder wirken ihre Bedingungen und Organisations-formen sich letztlich destruktiv auf das Leben aus ? Eine digitalisierte Gesellschaft erscheint, trotz offener Fragen und Risiken, mit menschenfreundlichen Arbeitsbedingungen durchaus vereinbar. Die Einführung eines BGE und einer stärkeren Gemeinwohlorientierung der Ökonomie – am besten gleich in Europa – wären dafür besonders förderliche Voraussetzungen.

O. Lüdemann


[1]

Ein von Harald Welzer angeregtes Forschungsprojekt:

http://nachhaltigeswirtschaften-soef.de/givun, bei dem sich erstmalig auch große Konzerne wie Deutsche Post, dm und das Versandhaus OTTO beteiligen, stellt sich derzeit dieser Herausforderung.

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