Eingangs-Statement zu grundsätzlichen, ggf. derzeit auch utopisch erscheinenden Thesen:
Angesichts einer globalen Digitalisierung müssten neue
Konzepte von Arbeit eigentlich am besten auch gleich in einem globalen
Rahmen diskutiert werden. Um realistisch zu bleiben, sollte es aber
zumindest ein europäischer Rahmen sein, der dann bezüglich seiner
politischen und ökonomischen Ausgestaltung grundlegend zu reformieren
wäre.
Der Grund: Das Konzept von Arbeit, und damit auch der Arbeitsalltag der
Menschen, hängt entscheidend von solchen Rahmenbedingungen ab.
Fremdbestimmte Erwerbsarbeit und selbstbestimmte freiwillige Arbeit
sollten im Rahmen eines solchen europaweiten gemeinsamen Konzeptes von
Arbeit gleichermaßen wertgeschätzt und entlohnt werden. Konkret heißt
das: An Stelle des Scherbenhaufens einer seit Jahrzehnten
fehlgeleiteten, auf Konkurrenz und Gewinnmaximierung basierenden,
neoliberalen EU-Politik, bedarf es eines Europa, das auf ein solides
gemeinsames, menschen- statt bankenfreundlich konzipiertes Finanz-,
Steuer und Sozialsystem gegründet und wirklich demokratisch organisiert
ist. Leitbild sollten eine konsequent nachhaltige, solidarische sowie
gemeinwohlorientierte Organisation der ökonomischen und
gesellschaftlichen Strukturen sein. Optimale Voraussetzungen einer
Entwicklung in diese Richtung wären Schritte zur Vorbereitung
- einer Geld- und Bankenreform,
- eines europäischen Verfassungskonventes
- einer konsequenten ökologischen Orientierung der Ökonomie an den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie,
- und die Einführung eines als Kulturimpuls verstandenen bedingungs-losen Grundeinkommens.
Kurz- und mittelfristige Überlegungen
Vielleicht
wird die fortschreitende Digitalisierung in Industrie und Wirtschaft
wegen der daraus resultierenden massiven Arbeitsplatz-verluste schon
eher als bisher gedacht die Einführung eines Grund-einkommens erzwingen
oder zumindest erleichtern. In diesem Fall kommt es darauf an, das BGE
nicht ausschließlich als probates Mittel zur Armutsbekämpfung oder zur
Behebung von arbeitsmarkt-spezifischen Kollateralschäden zu begreifen, –
obwohl es auch dazu seinen Beitrag leisten würde -, sondern in erster
Linie gemäß seinem eigenständigen Sinn und Wert als Kulturimpuls. Das
bedeutet, dass die bekannten Grundkriterien des BGE (also ein sowohl
allgemeiner als auch individueller Rechtsanspruch
darauf, die Bedingungslosigkeit der Gewährung, eine ausreichende Höhe
für angemessene gesellschaft-liche Teilhabe) nicht aufgeweicht werden
dürfen. Im Kontext der Frage nach der Zukunft der Arbeit folgt daraus,
dass ein BGE nicht Erwerbsarbeit ersetzt, sondern im Regelfall
selbstbestimmte (Teilzeit)-Arbeit ermöglicht.
Das
Risiko einer „Pervertierung“ des BGE durch Aufweichung seiner
Grundkriterien wäre – gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt –
dort besonders hoch, wo etwa große Konzerne unter dem Vorwand von
Kosten- oder Wettbewerbsdruck versuchen könnten, das BGE als Mittel zum
Lohndumping oder auch von vornherein als „Kombilohn“ zu missbrauchen.
Dieses Risiko ergibt sich vor allem an Standorten von großen Konzernen
(Beispiele: VW in Wolfsburg, Bayer in Leverkusen) wo die Beschäftigten –
selbst mit einem BGE – aufgrund der Monopolstellung solcher Unternehmen
auf dem Arbeitsmarkt kaum über Verhand-lungsmacht verfügen und
insofern auf deren Jobangebote angewiesen sind. Auch nach Einführung
eines BGE sollte deshalb auf jeden Fall der gesetzliche Anspruch auf
Mindestlohn weiter gelten, um so möglichst prekäre
Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse auszuschließen.
„Denkraum Arbeit“ http://denkraumarbeit.de, eine Initiative des Progressiven Zentrums und der Friedrich Ebert-Stiftung, hat unter dem Namen „Gesellschaftsvertrag Solidarische Flexibilität“ grundsätzlich durchaus diskussionswürdige Vorschläge für ein individuelles Teilzeit-arbeits-Wahlrecht oder auch eines Bonus-Malus-Systems bezüglich der Arbeitsbedingungen von Unternehmen gemacht.
Ein zeitlich begrenztes „Teilzeit-Wahlrecht“, das – wie es dort heißt – über einen „aktiven Staat“ finanziert würde, stellt ja im Grunde nichts Anderes als ein punktuelles und partielles Grundeinkommen dar, allerdings mit einem entscheidenden Manko: Einzelnen erwachsenen Bürgern wird nach diesem Modell – im Unterschied zu einem BGE – auch weiterhin generell nicht zugetraut, ihr Leben ohne Kontrolle oder Zwang zu Gegenleistungen wirklich selbst in die Hand zu nehmen.
Das
Konzept eines Bonus-Malus-Systems bei vorbildlichen, bzw.
problematischen Arbeitsbedingungen ist seinerseits eine originäre Idee
der Gemeinwohlökonomie. Dort sind die Arbeitsbedingungen
allerdings nur ein Element in einer ganzen Reihe von Parametern einer
um-fassenden „Gemeinwohlbilanz“, zu der beteiligte Unternehmen sich
freiwillig verpflichten. Wenn die Autoren von „Denkraum Arbeit“ sich ernsthaft für eine Gemeinwohlorientierung der Ökonomie engagieren wollen,dann sollten sie deshalb gleich eine solche Gemeinwohlbilanz in
ihre Überlegungen einbeziehen. Die wurde übrigens bereits 2015
hochoffiziell vom Wirtschafts- und Sozialausschuss des europäischen
Parlaments gelobt und mehrheitlich ausdrücklich als wegweisendes Konzept
empfohlen.
Trotz
einer Reihe von zu bedenkenden Risiken erscheint inzwischen in
zahlreichen dafür geeigneten gesellschaftlichen Bereichen eine zeitnahe
Digitalisierung und Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen
plausibel und auch durchaus wünschenswert. Wird es aber gleichzeitig –
möglichst damit verknüpft – Maßnahmen zur Entschleunigung und
Begrenzung von ökonomischem Wachstum geben? Zu wünschen wäre dies, ist
aber bisher nicht absehbar.
Leider ist eben davon auszugehen, dass die Wirtschaft nicht freiwillig zu solchen Maßnahmen bereit sein wird, zumal derzeit die Finanzmärkte Milliardensummen in die Digitalisierung investieren und dafür ent-sprechende Renditen erwarten. Zu erwarten ist deshalb eher, dass der Konkurrenzdruck und das Bestreben nach Gewinnmaximierung noch weiter steigen. Ein probates Mittel, um diesen Tendenzen zu begegnen, könnten lohnende Steuersparanreize sein, etwa in Form von finanziellen Vorteilen oder Erstattungen bei der Körperschaftssteuer für Unternehmen, die bereit wären, auf Gewinnmaximierungsstrategien zu verzichten, bzw. sich einer Gemeinwohlbilanz zu unterziehen. Zahlreiche Beispiele aus der bereits existierenden Praxis der Gemeinwohlökonomie zeigen: Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die sich von solchen Vorteilen überzeugen lassen, können derartige Anreize durchaus greifen. Größere oder gar multinationale Konzerne mit großer Marktreichweite lassen sich dadurch allerdings bisher kaum beeindrucken. Gerade darauf käme es freilich an, wenn das Ziel eine nachhaltige und solidarische Gesellschaft in Europa sein soll[1].
–
Ethisch wie ökonomisch und ökologisch fragwürdige Großprojekte von
Großkonzernen, wie z.B. die Entwicklung selbstfahrender Autos, die
Durchsetzung menschenverachtender Marktstrategien mittels
Standort-verlagerung in Billiglohnländer oder auch ein die Demokratie
unter-wandernder systematischer Lobbyismus lassen sich vermutlich nur
durch entschlossene gesetzgeberische Maßnahmen ausbremsen, die das
aktuelle System insgesamt in Frage stellen. Leider scheint dazu bisher
der politische Wille weitgehend zu fehlen. Die Einführung eines BGE in
Verbindung mit mehr Gemeinwohlorientierung könnte gleichwohl im
öffentlichen Bewusstsein immerhin einen allmählichen Stimmungs-umschwung
in Richtung von mehr Erfahrung realer Solidarität und verantwortlicher
demokratischer Teilhabe einleiten.
Paradoxerweise stehen die Chancen für eine Einführung des BGE in diesem Sinn auf
europäischer Ebene vielleicht sogar besser als in einem nur
nationalstaatlichen Rahmen. Diese gewagte These bedarf näherer
Begründung. Auf den ersten Blick spricht angesichts des drohenden
Zerfalls der EU ja eher alles gegen ein solches Szenario. Nach dem Motto
„Zukunft entsteht aus Krise“ ist es aber nicht abwegig, genau darin
eine Chance zu sehen. Im Grunde ist die aktuelle Situation nämlich
durchaus vergleichbar mit der nach dem 2.Weltkrieg. Damals wie heute
standen bzw. stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Zum Glück besteht der
heute nicht aus Kriegstrümmern, sondern „nur“ aus einer fehlgeleiteten,
letztlich gescheiterten EU-Politik. Die Herausforderung aber ist
vergleichbar. Sie lautet: Europa neu denken !
Die
Politologin Ulrike Guérot hat sich mit ihrem lesenswerten Buch „Warum
Europa eine Republik werden muss – eine politische Utopie“ dieser
Herausforderung gestellt. Mehr Gemeinwohlorientierung ist eine
wesentliche Grundlage ihres Konzeptes einer postnationalen euro-päischen
Republik. Auf Nachfrage hat sie ausdrücklich bestätigt, dass sie auch
ein BGE ausdrücklich als eine innovative, an ihr Konzept anschlussfähige Idee betrachtet.
Wer
den Begriff der Arbeit von der Idee des Grundeinkommens her denkt,
begreift, dass sein Einkommen, und damit sein Auskommen, nicht länger
von einer Erwerbsarbeit abhängt. Er kann also in seinem Kopf Arbeit und Einkommen als
Grundlagen der Existenzsicherung von-einander trennen. Noch wichtiger
ist die Konsequenz daraus, nämlich die, dass er die Arbeit, die nicht
Erwerbsarbeit ist, – z.B. Hausarbeit, Pflegearbeit, freiwillige Arbeit,
ehrenamtliche Arbeit….in einem Wort: jede wirklich selbstbestimmte
Arbeit – umso mehr schätzen kann. Solche Steigerung der Wertschätzung
von selbstbestimmter Arbeit macht den Sinn und Wert eines BGE aus, denn
es zeigt sich darin: Es ist menschenfreundlich, es dient dem guten
Leben, – mit Erich Fromm gesprochen – es drückt die Liebe zum Leben aus.
Das
Risiko in einem weitgehend durch Digitalisierung bestimmten
Arbeitsalltag liegt darin, dass die Menschen zunehmend zu Sklaven einer
von Maschinen bestimmten Welt werden. Dieses Risiko kann In dem Maße
minimiert werden, wie sie sich dank eines BGE die Souveränität über ihr
Leben zurückholen. Die Gemeinwohlökonomie kann ihrerseits dafür sorgen,
dass entsprechende Risiken von vornherein ausgeschaltet oder zumindest
reduziert werden, indem diese bei den Parametern der Gemeinwohlbilanz
berücksichtigt werden.
Abschluss-Statement
Für
die Bewertung der Arbeit in einer zunehmend global vernetzten und
digitalisierten Welt ist insoweit der entscheidende, allem anderen
übergeordnete Maßstab die Frage: Wie menschenfreundlich – oder wie
menschenfeindlich erleben die Menschen die Arbeit? Dient sie der Liebe
zum Leben oder wirken ihre Bedingungen und Organisations-formen sich
letztlich destruktiv auf das Leben aus ? Eine digitalisierte
Gesellschaft erscheint, trotz offener Fragen und Risiken, mit
menschenfreundlichen Arbeitsbedingungen durchaus vereinbar. Die
Einführung eines BGE und einer stärkeren Gemeinwohlorientierung der
Ökonomie – am besten gleich in Europa – wären dafür besonders
förderliche Voraussetzungen.
O. Lüdemann
[1]
Ein von Harald Welzer angeregtes Forschungsprojekt:
http://nachhaltigeswirtschaften-soef.de/givun, bei dem sich erstmalig auch große Konzerne wie Deutsche Post, dm und das Versandhaus OTTO beteiligen, stellt sich derzeit dieser Herausforderung.